"An
Stelle von Tristesse zeigt 'Halbe Treppe' die nicht unwitzigen Untiefen
des Alltags, an Stelle von sozialer Härte einfach zwei Ehepaare
über dreißig in Beziehungskrise, weshalb der Zuschauer
den Film mit einem angenehmen Gefühlsmix aus Amüsement und
Mitleid verlässt". (taz)
Der
so kommentierte Film des Filmemachers Andreas Dresen ("Die Polizistin")
war einer der Überraschungserfolge der diesjährigen Berliner
Filmfestspiele und wurde nach übereinstimmender Meinung der Fachkritik
völlig zu Recht mit einem "Silbernen Bären" prämiert.
Mit
wackelnder Digitalkamera, Anlehnungen an die Grundregeln der Dogma-Filme
und einem unglaublich niedrigen Budget von nur 80.000 DM (Frankfurter
Rundschau) inspizierte und inszenierte Dresen das Seelenleben an den
sozialen Rändern des noch nicht zusammengewachsenen Deutschland
und zeigt "mit präziser Beiläufigkeit" das "ganz
normale Leben in seiner ganz normalen abgründigen Banalität"
(taz).
Der
Film leistet sich auch einen "running gag", nämlich
einen Straßenmusiker, der ständig im Dunstkreis des Hauptdarstellers
auftaucht. Immer weitere Musikanten gesellen sich im Verlauf des Films
dazu, und schließlich formieren sie ein nicht ganz unbekanntes
Orchester: die 17 Hippies, Berliner Szene-Kultband mit internationalem
Renomée, zeichnen nicht nur für den Soundtrack verantwortlich,
sondern spielen selber auch mit.
Der
Soundtrack besteht insgesamt aus einundzwanzig spontan aufgenommenen
Sequenzen, in denen die Hippies ihren gewohnt stimmungsvollen und
leidenschaftlichen Folk- und Tanz-Rhythmen auf Grundlage traditioneller
und eigener Kompositionen freien Lauf lassen. Die Filmhandlung gibt
allerdings einen melancholischen Grundton vor, der in dieser Art auf
den bisherigen Aufnahmen der 17 Hippies als durchgängiges Muster
noch nicht zu hören war. "Halbe Treppe" zeichnet deshalb
ein vielschichtigeres Bild der Band, lässt Raum und Ruhe für
leise und sanfte Zwischentöne, die aber leider immer viel zu
schnell zu Ende sind - kaum ein Titel ist länger als drei Minuten.
Die
Musik, schreiben die Hippies im Begleittext, sei parallel zur Handlung
entstanden. Während der Proben schnitten sie "Stücke
und Atmosphären" mit um zu sehen, wie sie zu den Filmsequenzen
passen würden. Dresen schnitt die Studio-Vorlagen auf den Film
und ließ sie unverändert und ungefiltert: "Die eigentlich
nur als Vorlagen gedachten Aufzeichnungen trafen am besten das Momentgebundene
und Unmittelbare des Films."
Also
wurden die Stücke im Original belassen, "lediglich entrauscht
und entrumpelt" (!) und zeigen die Hippies in all ihrer kreativen
und variationsreichen Spontaneität, kurz: von ihrer besten Seite.
Michael
Frost, 17. Februar 2002
Fotos: Presse-Office der Berlinale / 17 Hippies