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Die Musik des
gesprochenen Worts


Die Reise ist lang und voller Überraschungen. Sie beginnt im Pandschab, Indien, vor vielen Jahrhunderten. "Schritt für Schritt unter Schmerzen, getragen von Angst, begleitet von Hunger und Durst ..." Der Weg endet im Hier und Jetzt. Man hört den Herzschlag eines Menschen, dessen lautmalerische Stimme vom Schicksal der Gegenwart erzählt: "Meine Fragen bleiben unbeantwortet // Mein Köper ungesehen // Meine Menschlichkeit tot // mein Blut verflossen ..."

"Bizoagor" erzählt in dürren Worten und eindringlichen Arrangements Ausschnitte aus der Geschichte der Roma. Von ihrer Flucht aus Indien, ihrem Ursprungsland, und vom Rassismus der Gegenwart. Es sind überwiegend traurige Geschichten, die Gjunler Abdula für dieses intensive Album dichtete. Auch Abdula selbst trägt die Geschichte der Roma, die eine Geschichte von Flucht und Vertreibung ist, in der eigenen Biografie.

Er wuchs im heutigen Mazedonien auf, und er war der erste seiner Volksgruppe, der in den Stadtrat von Skopje gewählt wurde. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien beendete die Hoffnung auf politische Selbstbestimmung jedoch, und Abdula entschied sich, wie so viele andere Roma zu Beginn der 90er Jahre, zur Flucht.

In den Niederlanden fand er Zuflucht. Dort traf er Bandleader und Bandoeon-Spieler Marc Constandse. Der Holländer interessierte sich schon immer für die musikalischen Traditionen der Roma, so sehr, dass er als einer der wenigen Nicht-Roma (die in Romanes als 'Gadje' bezeichnet werden), eine Band für Roma-Musik gegründet hatte: "Parne Gadje".

"Bizoagor" jedoch, das Ergebnis der Zusammenarbeit von "Parne Gadje", hat jedoch so gar nichts von dem, was allgemein unter dem Begriff "Gypsy Pop" firmiert. Als "Spoken Word"-Album bezeichnet es denn auch der Pressetext zur Albumveröffentlichung, doch das trifft es wiederum auch nicht, denn auch im gesprochenen Wort liegt in diesem Fall Musik. Ebenso wie die von verschiedenartigen Percussion-Instrumenten und Bandoneon getragenen Arrangements wirkt die Sprache roh, direkt und ungeschönt.

Die raue Stimme Abdulas erzählt, begleitet von dröhnendem Schlagwerk und schroffen E-Gitarren, vom Schicksal der Roma und beleuchtet in kurzen, detailgenau ausgemalten Momentaufnahmen die Gegenwart und zitiert dabei überraschend den Tango Piazzollas und die Lyrik Garcia Lorcas.

Das Bandoneon erweist sich dabei als perfekter Begleiter, weil es den melancholischen Grundton der Verse Abdulas unterstreicht: "Oh, meine Sonne, besser bleibst du verborgen // in diesem Lied gibt es eine schwarze Blume ...". Doch damit endet die Reise nicht. Gjunlar Abdula und Parne Gadje stellen ein rhythmischen Tanz an den Schluss, vielleicht als Symbol ihrer Hoffnung, dass sich der Lauf der Geschichte und ihres Teufelskreises aus Vorurteilen, Vertreibung und Flucht einmal durchbrechen lässt.

© Michael Frost, 19.11.2006

 

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