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Französischer Cowboy
in Arizonas Prärie


Man käme nicht ohne weiteres darauf, und doch erweist sich die ungewöhnliche Liaison zwischen Paris und Arizona seit einigen Jahren als außergewöhnlich stabil und fruchtbar, jedenfalls in musikalischer Hinsicht. Joey Burns und seine allseits gefeierte Texmex-Band Calexico entdeckten nämlich schon früh die Liebe für Französischsprachiges. Françoiz Breut, die zwar aus Belgien stammt, gemeinhin aber als eine der wichtigsten Vertreterinnen des Nouvelle Chanson in Frankreich gilt, sang bereits mit Calexico, bevor sie ihrerseits Joey Burns um Unterstützung bei ihren eigenen Alben bat.

Ihre Kollegin Marianne Dissard war bereits einen Schritt weiter gegangen: Sie lebt seit einigen Jahren in Tucson und tauchte ebenfalls häufiger an der Seite von Calexico auf, bevor sie im vergangenen Jahr ihr Solo-Debüt vorlegte, das sie jüngst wiederum an der Seite von Françoiz Breut in Deutschland live vorstellte.

Nun folgt Dissards Ehemann Naïm Amor. Er war seiner Marianne nach Amerika gefolgt, wo er sie inzwischen heiratete. Nach verschiedenen Engagements in Jazz-, Countryrock- und Rockabilly-Formationen legt er mit "Sanguine" seinerseits ein Solo-Album vor, benannt nach einem alten Titel des Chanson-Granden Jacques Prévert. Alle übrigen Stücke stammen aus Amors eigener Feder, unterstützt wurde er, man ahnt es schon, von seiner Frau Marianne Dissard und Joey Burns, der das Album auch produzierte.

Lässig, so lässt sich der Gesamteindruck des Albums vielleicht am treffendsten zusammenfassen. Naïm Amor macht um seine Songs, die Arrangements und seinen Gesang nicht viel Aufhebens. Gerade die ersten vier Songs des Albums, "Etre là", "Aigre Martini", "Les bruits" und "Son grand sourire" scheinen mit dem Klischee des einsamen Cowboys inmitten der einsamen Prärie zu spielen: Country-, Folk-, Blues- und Rockabilly-Elemente bilden die Grundlage für den reduzierten Akustiksound und Amors unangestrengten Gesang.

Videolink: Naïm Amor "Etre là" / youtube
 

Der Titelsong läutet dann eine Art Zäsur ein: "Sanguine" ist ein typisches Chanson, mit dem der Musiker an seine Herkunft erinnert, bevor er eine Reihe von Liedern anschließt, die eine deutlich dunklere Seite betonen: "Quelle heure est-il?", "Lychee girl" und "Precious second". Trotz des die Weichheit seiner Stimme betonenden Vervielfachung des Gesangs - oder gerade deswegen - wird der Sound tiefgründiger, irritierender. Das gilt gerade für "Precious second", den einzigen englischsprachigen Titel des Albums.

Am Ende kehrt Amor zur Verknüpfung von französischem Chanson und Westernromantik zurück: "Quand tu es passée" wird von introspektiver Akustikgitarre und einsamer Mundharmonika untermalt, bevor der abschließende Bonus-Track "Tucson, AZ" noch einmal die sengende Nachmittagshitze Arizonas beschwört. Dafür findet er passend einen wie gelähmt wirkenden Grundton, der das regungslose Verharren allen Lebens widerspiegelt, bis sich endlich die erfrischende Nacht ausbreitet und Platz schafft - "pour toi e moi".

© Michael Frost, 10.04.2009


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