Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

 

 

Die Exotik der
nächsten Straßenecke


Die Asian Dub Foundation war bei ihrer Gründung 1993 keine Band, sondern "eher eine Bildungseinrichtung, die Songs als Katalysatoren für politische Botschaften einsetzte" (Poplexikon). Und amerikanische Plattenfirmen hätten sich angesichts der unberechenbaren Mischung Londoner Suburb-Sounds gefragt: "Ist das schwarze Musik ? Ist das weiße Musik ? - Ist das Musik ?" So erzählen es die Mitglieder der "Foundation" in einem larmoyanten Begleittext zu ihrer aktuellen CD/DVD-Veröffentlichung "Keep banging on the walls".

Die Asian Dub Foundation, kurz ADF, lässt keinen Zweifel daran, welchen Mauern ihr Protestaufruf gilt: den Mauern der Festung Europa "Fortress Europe". Denn die politische Eindeutigkeit hat sich während ihrer inzwischen zehnjährigen Karriere nicht verbraucht. Hiphop, Reggae, Dub und Punkrock sind ihre musikalischen Mittel, harte, schnelle Beats und undefinierbare Samples; dazu agitierender Sprechgesang, der die Irritation unter den US-Plattenbossen maßgeblich verursacht haben dürfte. Und dennoch: Auch in "Old Europe" wurde ADF nicht immer verstanden.

Denn anders als der Mainstream des"Ethnopop", der nach immer ferneren Ländern strebte, um in immer entlegeneren Teilen der Erde Material für die eigenen Projekte zu entdecken, suchte ADF die Exotik der nächsten Straßenecke; in den Londoner Immigranten-Wohnsiedlungen und Vororten. Dort, in den afrikanischen, indischen und pakistanischen Communities sammelten sie das Lebensgefühl ghettoisierter Einwanderer ein, gaben ihnen Sprache und Rhythmus - und wurden schließlich zu den wichtigsten Stimmen der multikulturellen Wirklichkeit (west-)europäischer Metropolen.

Dieser nonkonformistische Sound marginalisierter Bevölkerungsgruppen eckte in England an. Nach dem Grundsatz, wonach der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, konnte das zweite ADF-Album "R.A.F.I." zunächst nur in Frankreich veröffentlicht werden, wo man traditionell offener für neue Musik ist und in der Band vielleicht die britische Antwort auf Mano Negra sah.

Doch inzwischen ist die Asian Dub Foundation längst ein international erfolgreiches Projekt, das auf dem gesamten Kontinent die Hallen füllt und auf Festivals als absoluter Publikumsmagnet gilt. Ihre ausgedehnte Live-Tour, die sie zwischen Februar und Dezember 2003 durch ganz Europa führte (im November übrigens nochmals zu drei Auftritten nach Deutschland), ist jetzt auf einer CD und einer DVD dokumentiert.

Die DVD zeigt den Auftritt von Dr Das, Chandrasonic, Pandit G, MC Aktarvata, MC Spex Cyber und Rocky Singh beim "Européennes Festival" im französischen Belfort sowie Mitschnitte einzelner Songs vom Paleo-Festival in Nyon (Schweiz) und aus dem WDR-Rockpalast. ADF nutzt die Möglichkeiten des Mediums DVD, um ihren Ruf als "beste Live-Band der Welt" zu behaupten, aber gerade weil ihre Gigs so sehr von der Beteiligung des Publikums leben, dem kollektiven Erlebnis, dem gemeinsamen politischen Bewusstseins und den mitreißenden Beats, ist "Keep Banging on the Walls" keinesfalls ein Ersatz für den Konzertbesuch, sondern nur der Appetizer, der allerdings den Hunger auf das nächste Tourerlebnis nicht etwa beseitigt, sondern erst entfacht.

© Michael Frost, 04.11.2003

 


[Archiv] [Up]