Wer
angesichts des Albumtitels "Espíritu vivo" ein den
gängigen Klischees entsprechendes Latin-Pop-Album erwartet, wird
umdenken müssen. Denn Susana Baca, Peruanerin mit afrikanischen
Wurzeln, macht mit samtweicher Stimme die leisen Zwischentöne lateinamerikanischer
Rhythmen hörbar. Das bedeutet aber keineswegs, dass ihre Musik
weniger Energie versprühte oder weniger Temperament besäße
als die ihrer Kollegen.
Musikalisch
lässt sie sich ungern festlegen. Natürlich gehören
traditionelle Lieder ihrer peruanischen Heimat zu ihrem Repertoire,
darunter sogar einige, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Andere
Titel wiederum sind sehr modern und bestechen durch ihre stille Mischung
aus Latin-, Blues- und Jazz-inspirierten Klängen und anspruchsvolle
Harmonien.
Vermutlich war es die Vielschichtigkeit ihrer Musik, durch die Ex-Talking
Head David Byrne auf Susana Baca aufmerksam wurde und sie nach New
York einlud, um dort ihr neues, nunmehr drittes Album für sein
Label "Luaka Bop" einzuspielen.
"Espíritu
vivo" (Lebendiger Geist) ist vielleicht deshalb ein besonders
intensives und athmosphärisch dichtes Album geworden, weil die
Aufnahmen exakt in der Woche des 11. September 2001, dem Tag des Anschlags
auf das World Trade Center, stattfanden. Letztlich wurden alle Lieder
live im Studio eingespielt, was sich außerordentlich positiv
auf das Zusammenspiel der Musiker auswirkte, die sich gegenseitig
anzutreiben scheinen und ihre Spielfreude nachdrücklich demonstrieren.
Es
dauert eine Weile, bis man das Besondere in der Stimme Susana Bacas
wahrnimmt und beschreiben lässt, denn sie singt weder auffallend
kraftvoll oder bemüht. Ihre Anziehungskraft liegt vielmehr in
der klaren Einfachheit des Ausdrucks, dem sanften Timbre, mit dem
ihr auch anspruchvollste Melodien mühelos gelingen, egal ob es
sich dabei um "13 de mayo" des Brasilianers Caetano Veloso
oder um "Anchor song" handelt, die überraschende Cover-Version
eines Björk-Titels.
Die
Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der Susana Baca
brasilianische Bossanova, isländischen Alternative-Pop und französisches
Chanson ("Les feuilles mortes" von Prévert) in ihre
Arbeit integriert, beeindruckt ungemein: "Espíritu vivo"
ist das faszinierende Album einer faszinierenden Sängerin.
Michael
Frost, 15. Juni 2002