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These Are The Vistas !
von Hans Happel


Die Eigenwerbung macht aus ihnen "postmoderne Jazz-Ikonoklasten", aber sind sie wirklich Bilderstürmer? Der Bassist Reid Anderson, der Pianist Ethan Iverson und der Schlagzeuger David King nenen ihr Trio THE BAD PLUS. Nach ihrem Debüt-Album im Jahr 2001 bei dem spanischen Independent-Label Fresh Sound veröffentlichen sie jetzt bei Columbia Records ihre erste CD. Titel: "These are the vistas".

Die drei US-Amerikaner aus Minnesota und Wisconsin kennen sich seit Kindertagen, was ihrem geschmeidigen und gleichrangigen Zusammenspiel anzuhören ist. Hier steht nicht das Piano im Mittelpunkt, während Bass und Drums nur begleiten. Ein aufgewühltes Schlagzeug eröffnet die erste Nummer "Big Eater", aufgewühlt, drängend und federnd ist das Spiel von David King in allen 11 Stücken des Albums, zu denen alle Musiker als Komponisten beigetragen haben.

Drei Songs sind Cover-Versionen prominenter Pop-Titel, darunter der Party-Hit "Heart of Glass" und der wichtigste Song der 90-er Jahre, der tieftraurige und raue Aufschrei "Smells like teen spirit". Aber wie bringt man Blondie und Nirvana zusammen? Gar nicht, antworten THE BAD PLUS.

Sie bezeichnen ihre Methode, Songs zu covern, als "Dekonstruktion". Der Ausdruck mag postmodern sein und die lässig ironischen Selbstbeschreibungen ihrer Songs ("hektisch, humorvoll, heroisch, höllisch") kokettieren mit diesem Image. Während sie den Nirvana-Titel mit dem Piano als Melodieträger geradezu ehrfürchtig nachspielen, und den "Teen Spirit" dabei keineswegs verletzen, zerlegen sie "Heart of glass" in mehrere Teile, die hart aneinander geschnitten werden, mit theatralisch-pompösen Klavierläufen und Akkordreihen, die die Ironie ihres dekonstruktiven Vefahrens unterstreichen.

Nein, sie sind keineswegs Bilderstürmer: Sie lieben eingängige und schöne, auch melancholische und sehr stille "simple melodies", und sie müssen auf der Hut sein, es dabei nicht einfach zu belassen. Denn thematische Arbeit und längere Durchführungen sind (noch) nicht ihre Sache.

Stattdessen setzen sie auf ihre unbestreitbare Stärke: die äußerste Eleganz beim Ineinandergreifen der drei Instrumente, die höchst bewegten Rhythmen des Schlagzeugs, die überraschenden Rhythmuswechsel und Synkopen, die den musikalischen Fluß niemals stören, aber angenehm aufrauen, die präzisen Bass-Linien bis hin zu fantastischen kleinen Solo-Einlagen, die in ihrer Mischung aus Brillianz und Tiefe an einen der großen Altmeister erinnern, an Gary Peacock.

Solche Vergleiche sind gefährlich, aber sie zeigen das Potential, das in diesem Trio liegt. Ihre Musik wirkt ansteckend frisch, sie integriert Pop, Rock und Blues in einen Gesamtsound, der viel zu raffiniert und intelligent ist, um einem einem bekannten Schema zu folgen, der einen ganz eigenen, wieder erkennbaren Charakter hat, sich aber klar aus dem Erbe des Jazz speist.

Die Musiker - allesamt ungefähr Mitte 30 - sind exzellente Solisten, sie sind spürbar ungeduldig, von einer rasanten Dynamik ebenso beseelt wie von zarter Innerlichkeit, und gerade deshalb müssen sie davor gewarnt werden, sich zu schnell zu verausgaben mit lauter gelungenen Pretiosen.

Naschwerk ist auch Blendwerk, da gibt es noch manche virtuose Effekthascherei, Crescendi, Rubati, viel Ornamentelles, aber das alles ist nicht so entscheidend wie die Tatsache, dass hier ein Trio wunderbar aufeinander eingespielt ist, und dass die drei Musiker einen außergewöhnlich vorwärtstreibenden, spannungsgeladenen Stil entwickeln, der noch weit größere Möglichkeiten enthält und Erwartungen weckt als sie sie jetzt erfüllen wollen.

Hier also erstmal: 11 gelungene kleine Kunststücke. "These are the vistas" ist ein Programm, diese Gesichter merken wir uns.


© Hans Happel, 01. September 2003

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