Was 
                    für eine Stimme! Sie ist volltönend und warm, aber 
                    sie ist auch viel mehr als warm, sie ist fiebernd vor Spannung, 
                    sie hat einen schwer zu fassenden Kick, der sie unverkennbar 
                    macht, sie kann dunkel werden - in den Sprechgesangpassagen 
                    - und sich - in extrem ausgeschwungenen Melodiebögen 
                    - zu höchsten Höhen hinaufschwingen. Sie 
                    berührt unmittelbar - in griffiger Feuilletonlyrik: "Eine 
                    Sirene. Wer sie hört, ist verloren". 
                  Jetzt 
                    hat die Stimme sich selbständig gemacht: Rebekka Bakken, 
                    1970 in Norwegen geboren, heute - nach einem mehrjährigen 
                    New-York-Aufenthalt - Wahlwienerin, ist Anfang des Jahres 
                    in Zusammenarbeit mit dem Julia Hülsmann-Trio groß 
                    herausgekommen (s. Link auf der Leiste). 
                  Auf 
                    ihrer ersten eigenen CD befreit sie sich von jedem gestrengen 
                    Reglement und läßt sich treiben. Wohin? Kitschig 
                    gesprochen: Wohin ihre Stimme sie trägt. Der Titel ihres 
                    Albums ist Programm: "The Art of how to fall".
                   
                    Rebekka Bakken läßt sich fallen, und sie landet 
                    weich in einem Fluß endlos strömender Melodien. 
                    Ob ihre Texte gut sind, spielt dabei keine Rolle, sie sprechen 
                    eine eindeutige Sprache: "Cover me with snow/ chill my 
                    burning flesh", sie sprechen vom Körper, von Küssen, 
                    von Liebe (auch im religiösen Sinn), und ihre Stimme 
                    ist Körper wie Botschaft zugleich. 
                  Alles 
                    andere gerät in den Hintergrund. Ein diskretes Schlagzeug-Arrangement, 
                    viel Besengroove darunter (drums: Jojo Mayer), ein verhaltenes 
                    Piano mit wenigen knappen Soli (Roberto Cipelli), ein zurückgenommener 
                    Bass (DieterIlg), Trompete und Sounds, darunter sehr feine 
                    Akkordeonlinien (Takuya Nakamura) - das ist der Background, 
                    der Unterboden für diese Stimme, die sich in die Weite 
                    und in die Höhe schwingt, die sich von ihrer eigenen 
                    Wärme und Musikalität tragen läßt, die 
                    sich in langen Kantilenen selber feiert. 
                  Manchmal 
                    scheinen hinter den Melodien bekannte Motive anzuklingen, 
                    wie in "Virgins lullaby", in dem - bewußt? 
                    - das Friedenslied "Universal Soldier" des Folkbarden 
                    Donavan mitschwingt, aber Rebekka Bakken gibt dem Material 
                    in den von ihr selbst getexteten und komponierten Songs ihre 
                    eigene Form, sie verlangsamt und schafft eine Intimität, 
                    die jeden Gedanken an Kitsch vertreibt, und man muß 
                    ihr einfach glauben, wenn sie in dem Trinklied "Virgins 
                    lullaby" singt: "I´m sinfully happy with things 
                    as they are". 
                  Die 
                    11 Songs des Albums sind ein einziger großer Versuch, 
                    in pure Schönheit auszubrechen. Dabei wird nicht nur 
                    in spitzen "kiss -me"-Tönen oder im gehauchten 
                    "You´re so sweet" klar, dass die Kunst zu 
                    fallen eine erotische Kunst ist. Rebakka Bakken macht kein 
                    Geheimnis daraus, ihre Stimme ist durch und durch erotisch 
                    aufgeladen, ohne je die Contenance zu verlieren. 
                  Sie 
                    schwebt irgendwo zwischen einer neuen Queen des Pop und einer 
                    alten Lady des Jazz. In "Powerless" läßt 
                    sie sich vom eleganten Groove treiben, und sie entschuldigt 
                    sich bei allen, die sie dafür kritisieren wollen: "I 
                    may be powerless", singt sie, bedenkt die besorgten Einwände 
                    von Freunden und schließt den Song mit den Zeilen: "If 
                    you want me to say I am sorry, I´ll do that, but those 
                    are your words". 
                  Sie 
                    beendet das Album mit einem eingängigen, leisen Herbstlied, 
                    das wiederum - von weitem - an die klassische Form einfacher 
                    Folk-Songs aus den frühen 60-ern erinnert, und ganz von 
                    einer lebensfreundlichen Botschaft beseelt ist: "living 
                    is only what runs through an open heart/ living is letting 
                    go". 
                  Der 
                    Schluß ist abrupt, Rebekka Bakken bricht einfach ab, 
                    sie läßt die Musik nicht ausklingen wie an anderer 
                    Stelle, so bleibt ein Fragezeichen am Ende. Das Fragezeichen 
                    einer Künstlerin, die sich mit höchster Eleganz 
                    verausgabt und die auf den Fotos des Booklets an Romy Schneider 
                    erinnert, an jene Frau, deren Schönheit Maske und Offenheit 
                    zugleich war, worunter die Verletzlichkeit unsichtbar sichtbar 
                    blieb, so wie sie hier jederzeit in der Stimme hörbar 
                    ist.  
                  © 
                    Hans Happel, 14. November 2003