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Das Wunder ist perfekt

 

Es ist das Herzstück dieses besonderen Albums: Joe Barbieri, der Neapolitaner, trifft auf Omara Portuondo, die Kubanerin, legendäre Sängerin des "Buena Vista Social Club". Vor dem Hintergrund eines eleganten Streicherensembles und einer portugiesischen Gitarre singen die beiden einen Fado. Er auf Italienisch, mit unprätentiöser Stimme in der Art der brasilianischen Bossanova-Meister, meist ein in sich versunkenes Raunen, weniger wirklicher Gesang. Erst nach zwei Minuten gesellt Omara Portuondo sich hinzu: auf Spanisch, mit der ganzen Fülle ihres Timbres, das auch hier, in "Malegria" so viel mehr erzählt als der Text des Liedes vorsieht: "Basta un piccolo gesto ..." - eine kleine Geste reicht, singt Barbieri, und das gilt an dieser Stelle für beide Interpreten, die mit Gesten und Nuancen eine spektakuläre Atmosphäre schaffen. Streicher und Gitarre untermalen die beiden Stimmen in klassischer Eleganz, sie erinnern an die Orchestrierung von Jacques Morelenbaum für das große Lissabon-Konzert der Fado-Königin Mariza.

Omara Portuondo zeigte sich von der Komposition Barbieris derart hingerissen, dass sie "Malegria" gemeinsam mit ihm auch live singen wollte, als sie 2008 in Rom gastierte. Der verwackelte youtube-Mitschnitt eines Zuschauers zeigt Portuondo und Barbieri in inniger Umarmung: ein wunderbarer Augenblick - um momento maravilha.

Joe Barbieri, dessen voriges Album "In parole povere" wir 2007 zur "CD des Jahres" erkoren, setzt seine Songideen mit "Maison Maravilha" konsequent fort. Vorbilder für seine Musik findet er, vielleicht von seinem früheren Förderer Pino Daniele (er produzierte 1993 Barbieris erstes Album) einmal abgesehen, vor allem in Brasilien. Wie etwa bei Caetano Veloso, Baden Powell oder auch der jüngere Generation der Bossanova um Vinicius Cantuaria oder Celso Fonseca ist auch sein Gesang fragil, sanft und melancholisch einschmeichelnd. Wäre da nicht diese gefühlvolle Intensität der Stimme, man könnte sie fast als monoton empfinden.

Mit ihr dekonstruiert er selbst gegensätzliche Vorlagen wie Paolo Contes rumpelndes "Wanda (Stai seria con la faccia)". Barbieri lässt keine Note des Originals auf der anderen, bis sich das Lied nahtlos in seine eigenen Kompositionen einfügt. Zwischen den Zeilen lässt er Raum für Ahnungen und Emotionen: Sprache und stimmlicher Ausdruck von Joe Barbieri verfügen über einen assoziativen Reichtum, der seinesgleichen sucht und nur in der Liga der ganz besonderen Stimmen Äquivalente findet.

Die Witwe des großen Henri Salvador schrieb Barbieri, ihr Mann wäre sicher "tief bewegt" von seiner Interpretation des Salvador-Klassikers "La muraille de Chine" gewesen - auch dieses Stück findet sich auf "Maison Maravilha". Madame Salvador wird die Wesensverwandtschaft zwischen den beiden Männern nicht entgangen sein, die ganz unterschiedlichen Generationen angehören (Barbieri ist Jahrgang 1973, Salvador wurde 1917 geboren, er starb 2008), und dennoch gleichermaßen die klassischen Linien ihrer Musik pflegten. Die zeitlose Geltung beider wird nicht nur bei Barbieri deutlich, sondern auch bei Salvador, der in seinen letzten Lebensjahren, als er mit "Chambre avec vue" (2000) einen zweiten Karrierefrühling erlebte.

Sowohl Salvador als auch Barbieri durchbrechen den hauchzarte Latinjazz-Rhythmus an keiner Stelle durch moderne Einflüsse. Auf "Maison maravilha" widersetzen sich Klavier, Gitarre, Trompete, Mundharmonika und immer wieder die undramatische Brillianz des Streicherensemblesder zeitlichen Festlegung, sie beschwören lediglich die Idee der "Bossanova napolitano", die Barbieri auf "In parole povere" entwarf und hier in vollkommener Ruhe in verschiedene Richtungen weiter entwickelt.

Manchmal reicht schon eine kleine Geste, ein Detail - "basta un piccolo gesto, un detail" - e la meraviglia è perfetto.

Videolink: Joe Barbieri über "Maison maravilha" / youtube
 


© Michael Frost, 15.10.2009


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