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Schweiß treibende Duelle


Auf diese Band hat die Folk-Welt lange gewartet. Es ist, als ob man sich mit den alten Pogues-Platten und den remasterten Versionen der famosen Waterboys-Alben lediglich über Wasser hielt, um schließlich diese Formation zu entdecken: Bellowhead.

Mit einigem Neid dürfte so mancher Pop/Rock-Kollege sehen, wie die Band das "Shepherds Bush Empire", Londons legendären Konzertsaal, nicht nur euphorisiert, sondern rockt. Nicht erst bei den Zugaben, wohlgemerkt, sondern von der ersten Minute an, mit dem Opener "Prickle-eye bush" (s. Videolink/youtube):

 

Für diesen wahnwitzigen Sound benötigt Bellowhead-Mastermind Jon Boden zehn Mitstreiter mit einem breit gefächerten Instrumentarium (sogar ein Besteckhalter von Ikea wird verzeichnet) sowie einen Reigen zum Teil mehrere Jahrhunderte alter Songs. Diese werden dann mit Verve, einem phänomenalen Gespür für Dramaturgie und einer kompletten Bläser-Sektion in Szene gesetzt.

So entsteht ein Sound, aus dem der traditionelle Celtic Folk einerseits erkennbar bleibt, sich andererseits aber mit einer Vielzahl von Rhythmen mischt, die mal brasilianischer, mal türkischer Herkunft oder eine Polka vom Balkan sein könnten. So vollziehen sie die Seereisen, die sie ihren Songs ("Across the line") beschreiben, musikalisch nach: "Across the line, The Gulf Stream, I've been in Table Bay, Around the Horn and home again, for that's the sailor's way".

Jon Boden, der von Kritikern bereits mit dem legendären Folksänger Peter Bellamy verglichen wird, ist ein ebenso sympathischer wie charismatischer Frontmann. Die Band-Website verrät verschämt, dass Boden in Chicago geboren wurde, aber, wie zur Entschuldigung hinzugefügt wird, "am St. Patrick's Day". Er hält die Fäden seiner Kombo zusammen, ohne die exaltierte Spielfreude von Multiinstrumentalisten wie Benji Kirkpatrick (Gitarre, Banjo etc.) oder John Spiers (Knopfakkordeon, Concertina) einschränken zu wollen. Die Bläsergruppe liefert sich mit den Streichern (darunter mit Rachael McShane die einzige Frau der Band) immer wieder rasante, Schweiß treibende Duelle, bei denen sich sämtliche Bandmitglieder gegenseitig zu überflügeln scheinen.

Nach nur zwei Alben - die Band exisitiert überhaupt erst seit 2004 - kann Bellowhead getrost als größte Hoffnung des Folkrock seit Pogues und Waterboys gelten, denn sie haben die seltene Fähigkeit, die Grenzen zwischen Tradition und Popkultur zu überschreiten, ohne dabei ihre Herkunft zu verwässern. Andererseits, was heißt "überschreiten" - Mit ihrem umwerfenden Sound reißen sie die Grenze einfach nieder.

 

© Michael Frost, 15.02.2009


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