Haïti
befindet sich im Umbruch. Der nach jahrzehntelanger Misswirtschaft durch
die Regierung Aristide zerfallene Karibikstaat hat seit Jahresbeginn
eine neue Regierung, an der die Hoffnung der Haïtianer auf Besserung
ihrer dramatischen Situation hängt: eine Lebenserwartung von derzeit
53 Jahren, skandalös hohe Kindersterblichkeit, und der weit verbreitete
Analphabetismus sind die Indikatoren der am Boden liegenden Gesellschaft.
Umso
erstaunlicher ist also, wie freundlich, eingängig und harmonisch
haitianische Musik daherkommt, selbst solche, die sich mit der sozialen
Situation des Landes befasst. Nicht Wut, Zorn und agressiver Protest
sind die emotionalen Grundlage der Musik der jungen Haitianer, sondern
traditionelle Rhythmen wie Kompa, Calypso, Reggae und Merengue, außerdem
angloamerikanischer Pop, R&B und Hiphop.
"Mika",
so Spitzname und Titel der zweiten Veröffentlichung von Michael
Benjamin, der 1981 in Haïti geboren wurde, ist ein schönes
Beispiel für die Selbstbehauptung einer jungen Generation, die
von Bürgerkrieg und Armut genug hat und nun selbstbewusst Chancen
auf ein besseres Leben einfordert. Benjamin selbst kennt auch das
Leben jenseits der desperaten Lage seines Landes: seine Eltern (der
Vater ist Lehrer, die Mutter Psychologin) ermöglichten ihm ein
Studium in Kanada, wo er schließlich sein erstes Album "Vwayaj"
(Reise) aufnahm.
Michael
Benjamins Musik verliert die schönen Seiten des Lebens nie aus
den Augen, wie etwa in dem Song "Bèl fanm" (Schöne
Frau), einem der Titel in kreolischer Sprache, der auch schon auf
einer Compilation der großartigen Weltmusikreihe des Putumayo-Labels
zu hören ist ("The Carribean").
"Base
Relax" steht auf der Innenseite des Album-Booklets. Nicht Wut,
sondern Leichtigkeit und Leidenschaft sind die Grundzutaten von Michael
Benjamins entspanntem Sound: jeder der 16 Songs ist wie ein Sonnenstrahl
- und gemeinsam machen sie den Sommer. Diese optimistische Grundhaltung
macht ihn wiederum selbst zum Bausteins des Umbruchs, in dem Haïti
sich - hoffentlich unumkehrbar - befindet.
©
Michael Frost, 18.06.2006