Maria
Bethânia muss niemandem, der sich für brasilianische Musik
interessiert, noch vorgestellt werden. Sie gilt als Ikone, seit sie
in den 60er Jahren zu einer der wichtigsten Erneuerinnen brasilianischer
Musik wurde. Unzählige Alben veröffentlichte sie seither
bei fast allen namhaften Plattenfirmen, 2002 feierte sie ihr 35-jähriges
Bühnenjubiläum mit der Doppel-CD "Maricotinha ao vivo".
Jetzt
beginnt sie noch einmal ganz von vorn, und zwar mit einer eigenen,
erst kürzlich gegründeten Plattenfirma mit dem originellen
Titel "Quitanda" (Gemüseladen). Auf den Namen sei sie
während des Lesens eines Interviews mit der Architektin Lina
Bo Bardi gestoßen, so die Bethânia: "Darin sagte
sie, dass jeder seinen eigenen Gemüseladen haben müsse."
Gesagt,
getan. Maria Bethânia hätte nicht den Stellenwert, den
sie heute einnimmt, wenn sie keine Frau der Tat wäre. Und um
das Konzept für ihr Label zu verdeutlichen, ist sie es selbst,
die das erste Album der noch frischen "Quitanda"-Geschichte
einspielt und veröffentlicht: "Brasileirinho".
Darauf
zu hören sind überwiegend vertonte Gedichte und Adaptionen
berühmter Wegbegleiter wie Caetano Veloso und Gilberto Gil ("Sao
Joao Xangô Menino"), leise und einfühlsam eingespielt
von Maria Bethania und einem hervorragenden Ensemble aus Musikern
und ihren ausschließlich akustischen Instrumenten.
Getreu
der Philosophie ihres Labels, wonach sie Theater, Literatur, Poesie
und Musik zusammenführen will, erreicht sie dieses Ziel durch
Rezitate, die sie in die Lieder einbaut. So kommt bereits im ersten
Song ("Salva as flores", ein Stück von Gerônimo/Ildásio
Tavares) der Dichter Ferreira Gullar zu Wort. Er liest ein Gedicht
von Mario Andrade ("O descobrimento").
Dennoch
ist "Brasileirinho" beileibe keine "schwere" Kost.
Harmonische Balladen und sanfte Sama-Rhyhtmen vermitteln brasilianisches
Lebensgefühl und Einblicke in eine reiche Kultur - jenseits oberflächlicher
Romantisierung und gängiger Stereotypen.
Keine
Frage: Wenn ihr "Gemüseladen" diese hochkarätige
Qualität halten kann, dann werden wir Stammkunden.
©
Michael Frost, 23. Oktober 2004