Der 
          Prophet gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Lande. Außer in 
          Brasilien. Denn die Begeisterung des Publikums für die Künstlerinnen 
          und Künstler des Landes übersteigt oft jedes für Europäer 
          vorstellbare Maß. Bewunderung, ja Verehrung wird spürbar, 
          wenn die Legenden der brasilianischen populären Musik die Bühnen 
          betreten.  
          Wie 
            beispielsweise Maria Bethânia, die 2002 ihr 35-jähriges 
            Bühnenjubiläum feierte. Und mit wem würde sie dieses 
            Ereignis wohl begehen, wenn nicht mit "ihrem" Publikum ? 
            So dokumentiert der Mitschnitt eines bewegenden Abends in Sao Paulo 
            ein rauschendes Fest, das Bethânia und ihre Gäste miteinander 
            feiern. Die Fans konsumieren nicht, sie kommunizieren, und Maria Bethânia 
            spiegelt die Bewunderung ihres Publikum, indem sie mit Dankbarkeit 
            antwortet. 
          Sie 
            raunt, flüstert, erzählt, schwelgt und träumt, dann 
            wieder erscheint sie laut und voller Temperament - Maria Bethânia 
            hat sich über die Jahre nicht nur ein beeindruckendes Repertoire 
            zwischen dramatischem Chanson, Bossanova, Rumba und Samba angeeignet, 
            sondern verfügt auch über die gesamte Palette der Ausdrucksmöglichkeiten 
            einer gereiften und erfahrenen Bühnenkünstlerin, die Inhalt 
            und Atmosphäre ihrer Lieder mit dem wandelbaren Timbre ihrer 
            Stimme vorwegnimmt. 
          Neunundvierzig 
            Stücke verzeichnet die Titelliste der Doppel-CD "Maricotinha 
            ao Vivo". Nicht alles sind Lieder, immer wieder sucht Maria Bethânia 
            durch kleine Erzählungen, Gedichte und Gespräche zwischen 
            den Songs den direkten Publikumskontakt. 
          Die 
            Musik ist - wie es der Anlass erwarten lässt - eine Zeitreise 
            durch die 35-jährige Karriere der Sängerin. Einige der bedeutendsten 
            Künstler des Landes schrieben für sie; unter ihnen Gilberto 
            Gil, Vinicius de Moraes, Toquinho, Chico Buarque, Tom Jobim - sowie 
            selbstredend ihr eigener Bruder Caetano Veloso. 
          "Maricotinha 
            ao Vivo" ist ein Album, an dem Freunde brasilianischer Musik 
            ihre Freude haben werden, Verehrer von Maria Bethânia sowieso. 
            Wer darüber hinaus auch Portugiesisch spricht, ist schon angesichts 
            der vielen Textpassagen eindeutig im Vorteil und kann sich der emotionalen, 
            teils intimen Stimmung dieses dokumentierten Dezemberabends in Sao 
            Paulo ohne Einbußen hingeben. 
          © 
            Michael Frost, 19. April 2003