Rüdiger
Bierhorst stammt aus einer Familie, in der es keine Musiker gibt.
Er selber ist der Ansicht, dass dies der Grund ist, dass er keiner
geworden ist. Wieviel kleiner kann ein Liedermacher sich machen? Blödsinn!
Bierhorst ist einer der Großen, der Unmissbaren der Berliner-Schnauzen-Szene,
eine Kaliber-Fresse, die ausspricht, was andere nur denken oder leise
flüstern. Einer, der zwar nicht alle Wahrheiten kennt, uns aber
dazu anstichelt, uns mit unserer ersteinmal auseinander zu setzen,
drüber nachzudenken und festzustellen, dass uns aller Alltagsproblemchen
an sich dieselben sind, man mit ein wenig Ironie und Durchsetzungsvermögen
sowie Humor diese locker hinter sich lassen kann, wenn auch nur für
einen Songwriter-Abend in einer gemütlichen Berliner Kneipe.
Bierhorst tourt gewöhnlich solo durch`s Land oder taucht mit
seinen Kumpanen von den Monsters Of Liedermaching auf, um mit einer
urswitzigen Truppe Mensch mit vielen Gitarren das Leben zu besingen,
niederzutrinken und wegzurauchen. Diese Truppe besteht aus lieben
Jungs wie Fred Timm (Ex-Norbert & Die Feiglinge), Burger (Sänger
der Punk-Formation Die Schröders und Inhaber einer Werbeagentur),
den zwei Burschen von Frische Mische und Flotte Totte, die jeweils
als Unikum recht harmlos wirken, aber in Monsters-Kombi so richtig
abgehen. Ein Kreativ-Kollektiv wie selten erlebt.
Das
erste Lied, das aus Bierhorst`s Feder floß, hier noch ganz unschuldig
"Deluge 1984". Hier ging es um Weltuntergang, Zukunft und
arme Kinder. Laut Rüdiger ein absolut mieser Song, für den
man nichtmal Gitarre spielen müssen kann, aber komisch, normalerweise
begegnen uns solche Nummern doch regelmäßig wie faule Frühstückseier,
meistens in den Charts auf den vordersten Plätzen. Er versteht
es, seine Klampfen-Vergangenheit trickreich zu verstecken ... Zwei
Vinylscheiben brachte seine Schüler-Combo hervor. Als Jugendlichen
zog es Rüdi nach Bärlin, wo er noch heute lebt und wirkt.
Bierhorst landete im "Go", das derzeit total angesagt war,
erlebte dort Songs, die viel arger waren als sein "Deluge 1984"
und dachte sich, er könnte es sich ja auch mal trauen, was er
tat, was er erfolgreich tat und bis heute tut. Rüdiger wünschte
sich wenig, kam immer sehr bescheiden rüber, ist mit gefüllten
Clubs und an der richtigen Stelle abgehenden Zuschauern und -hörern
glücklich. Nach dem Debüt "ohne Gewähr" ist
"ich jetzt!" Rüdiger`s zweites CD-Album.
Rüdiger
Bierhorst kann man aufgrund dieses Albums mit dem treffenden Namen
"ich jetzt!" auch als Volkes Stimme bezeichnen. Er besingt
alles, was der Normalo, der Nicht-Liedermacher auch besingen würde,
wenn er denn könnte. Sei es der "Montag", an dem wohl
viele unter uns gerne mit 37,5 Grad Celsius schon kurz vor der Büro-Ohnmacht
stehen würden. Oder die "Muse", die ihren Pflichten
nicht nachkommen will und dem Herrn Liedermacher die entsprechenden
Küsse verweigert. Gesungen wird auch über die Neurose der
Bühnensucht. Herr Bierhorst schreit nach Bediensteten, die wir
wohl alle gerne hätten, damit wir unsere Freizeit sinnvoll vernichten
können: "Ich brauch Personal". Mit alten Beziehungskisten
wird über "Mona" klar Schiff gemacht. Und wer einmal
zum "WSV im Ka De We" gewesen ist, wird Rüdi bei diesem
Song wohl am liebsten das Händchen tätscheln, dazu verständnisvoll
nicken wollen. Oder "Rangsdorf", ein Song, den man wohl
nicht unbedingt begreifen muss, der aber dadurch eine liebevolle Macke
bekommt, vor allem durch ein herrlich kreischendes E-Gitarren-Solo.
"Indiskret" rüttelt an der Schmieren-Plauderei, die
immer wieder gern genutzt wird, um sich gesellschaftlich interessant
darzustellen.
Alle
Songs auf "ich jetzt!" sind feinstes Songwriting, oder wie
Rüdi selber sagt: Liedermaching. Die Konzertklampfe steuert den
Bierhorst durch die Nummern, mal in Bandbegleitung, ganz obligatorisch,
teilweise live aufgenommen (2003 in Bierhorst`s Stammkneipe "Ufer
Café" in Wedding), teilweise in Rüdiger`s guten Stube
daheim, bis das Equipment den Geist auf gab (welches er, ganz Bierhorst`sche
Art, jetzt als Türstopper verwendet). Als Background-Unterstützung
muss teilweise Tina, die Bar-Bedienung im Club herhalten. Aber keine
Mona könnte zauberhafter uns Rüdiger lyrische Watschen geben.
Ein herrlicher Klinch, auf den man gleich einen heben sollte.
Zuprosten
sollte man eigentlich gleich der ganzen Scheibe, die vor Huldigungsmomenten
nur so strotzt. Bierhorst ist etwas Besonderes, Bierhorst ist ironisch,
schmutzig, sarkastisch, genial-witzig und tiefgründig. Ein Fußvolk-Entertainer,
der sich heimlich in die Herzen der Zuhörer schleicht und diese
im Regelfall auch gleich ganz dreist für immer und ewig besetzt.
Liedermacher gibt es viele, Leute, die meinen, sie müssten Gitarre
spielen noch viel mehr, aber nur wenige, die dieses wunderbare Talent
zu Bänkelliedern machen, die dem Volk aus der Seele sprechen,
diese ab und an auch ganz schlicht nur auskotzen. Nummern, in denen
wir uns einfach wiederfinden, die man pur aufsaugen kann. Es ist nicht
zu begreifen, warum Rüdiger Bierhorst sich als Nicht-Musiker
betitelt. Solange es Möchtegern-Gitarristen gibt, die nur mit
dem Daumen die Saiten anschlagen und damit ihre Brötchen verdienen,
hat Bierhorst auf jeden Fall Weltniveau erreicht :-) "ich jetzt!"
ist eine Anschaffung für`s Leben und als praktisches Beiwerk
für jede Aussteuertruhe bestens geeignet.
"Rüdiger
Bierhorst: Ich Jetzt"
ist ein Gast-Beitrag von Tina Hahn.
© Tina Hahn, September 2005
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