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Sei einfach, wie du biest
Gast-Kritik von Nils Neumann

 

Die Band Biestig besteht aus genau zwei Personen. Mit der Konstellation von Schlagzeug, Gitarre und zweistimmigem melodiösen Gesang hatten ja auch bereits die Abstürzenden Brieftauben erfolgreich die Republik in Atem gehalten. Biestig sind nun aber zwei Frauen, und sie haben mit dem Longplayer „Nebenan“ vor Kurzem ihr Erstlingswerk in die freie Wildbahn entlassen. Darauf scheuen sie sich nicht, sich musikalisch sowohl bei Andrew Lloyd Webber („Warum sich erst verstehn“) als auch bei Campino („Alles dreht sich“) zu bedienen und diese doch recht unterschiedlichen Einflüsse auf ihre rotzig-energische Art zu einem ganz eigenen Ding zu verbinden. Allein das zeugt schon einmal von der biestigen Widerspenstigkeit, die in der Musik dieser Band zu Hause ist.

„Nebenan“ ist eine sehr geradlinige Platte, die weitgehend ohne störende Schnörkel auskommt. Kleinere technische Ungenauigkeiten werden nicht überschminkt und verleihen den Stücken ihren authentischen Charme. Anfangs wollte ich kurz glauben, musikalisch sei dieses Werk nicht sonderlich herausragend. Aber dann musste ich feststellen, dass noch Stunden und Tage nachdem der Tonarm in seine Ausgangsposition zurückgekehrt war, die biestigen Melodien sich ihren Weg aus meinem Unterbewusstsein hinein in die aktive Erinnerung bahnten, um sich dort in Endlosschleife festzusaugen. Ohrwurm, ich höre dich husten. Spätestens diese Erfahrung belehrte mich also eines Besseren.

Wie es sich für eine Punkrock-Band gehört, die auch noch „Biestig“ heißt, geht es in den einzelnen Liedern nicht nur musikalisch sondern auch inhaltlich aufmüpfig zu. Die beiden Mädels lassen sich nicht den Mund verbieten und schreien hinaus, worüber sie unzufrieden sind. Allerdings verbreiten sie dabei lauter Botschaften, die ich ziemlich leicht bejahen kann: dass man an manchen Tagen schlechte Laune hat („Leck mich“), dass Aufschneider nerven („Falsch“), dass alleine zu feiern weniger Spaß macht als zu zweit („Null Bock“) etc. Auf diese Weise ziehen Biestig mich unweigerlich auf ihre Seite. Ihre Lieder sind zwar kratzbürstig – aber nicht gegen mich als Hörer, sondern gemeinsam mit dem Publikum gegen den Rest der Welt und ihre Tücken.

So beschleicht mich immer stärker das Gefühl, dass Biestig im tiefsten Innern ihres Herzens eben doch irgendwie ganz lieb sind. Nur ist „Lieb“ leider ein schlechter Name für eine Punk-Band. Überhaupt trifft dieses paradoxe Phänomen ja auf weite Regionen des Punker-Kosmos zu: Man schreibt sich zwar den Protest auf die Fahnen. Aber die abstrakte Masse, gegen die sich dieser Protest richtet (der Staat, die Kirche, die spießige Welt als solche), hören überhaupt nicht zu, während diejenigen, die zuhören, schon längst die gleiche Überzeugung teilen. Dabei wünsche ich mir doch Lieder, die nicht nur davon erzählen widerspenstig zu sein sondern es auch tatsächlich selbst sind. Nur den wirklich Großen des Genres gelingt es, auch ihre eigenen Zuhörerinnen und Zuhörer dann und wann aus der Reserve zu locken.

Deswegen ist der Kauf von „Nebenan“ in doppelter Hinsicht eine Investition. Denn erstens kommt dies einer jungen und begabten Band zugute. Die beiden Mädels werden ihren Weg weiter verfolgen und uns mit fortgeschritten-biestiger Musik erfreuen. In einigen Jahren werden sie sich dadurch einen legendären Status in der Szene erspielt haben. Dann wird, zweitens, die Erstpressung des Debutalbums sicherlich das vielfache des heutigen Kaufpreises wert sein. In diesem Sinne: Sag mir ruhig auch mal was Unbequemes! Sei halt, wie du Biest!

"Biestig: Nebenan"
ist ein Gastbeitrag von Nils Neumann.
© Nils Neumann, März 2010


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