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Retrospektive einer
Extremkünstlerin


Der Umstand, dass Fans eine zu große Häufung von Veröffentlichungen ihres Idols beklagen, dürfte wohl nicht allzu oft zu beobachten sein. Anhänger der isländischen Pop-Elfe Björk hingegen neigen neuerdings zum Stöhnen. Seit ihrem letzten regulären Studioalbum "Vespertine" (2001) veröffentlichte Björk vier DVDs mit Live-Material aus mehr als zehn Jahren, eine weitere mit all ihren Video-Clips, eine "Greatest-Hits"-Compilation auf CD und "Family Tree", eine 5 CDs umfassende Box mit einigen der markantesten Momenten aus Björks Karriere, B-Seiten, Remixes und bis dahin unveröffentlichten Konzertaufnahmen.

Nun folgt ein weiteres Set. "The Livebox" enthält auf vier CDs Live-Versionen aller vier bisher erschienen Studio-Alben der Isländern, angefangen mit dem phantastischen "Debut" (1993) über "Post" (1995), "Homogenic" (1997) bis zu "Vespertine".

Der Sammlung kommt zugute, dass Björk für die Box Aufnahmen der Touren wählte, die zeitnah zu den jeweiligen Album-Veröffentlichungen stattfanden, darunter auch ihr legendäres Konzert für die "Unplugged"-Reihe von MTV.

Anders als etwa die britische Kult-Band The Cure, die kürzlich an einem einzigen Abend die komplette Tracklist drei ihrer prägnantesten Alben live aufführte und auf DVD veröffentlichte ("The Dark Trilogy Concert"), belässt Björk ihre Songs also überwiegend in der ursprünglichen Live-Fassung und den Arrangements, die ihr zum jeweiligen Zeitpunkt als die passendsten erschienen: mal mit Tablas und klingenden Gläsern, dann mit japanischem Akkordeonisten, Querflöte, großem Orchester und grönländischem Frauenchor, dann mit den digitalen Klangkünsten eines Howie B. oder Mark Bell.

Angesichts der berauschenden Qualität des Materials laufen Vorwürfe von manchen Fans und Kritikern, Björk betreibe mit ihrer Materialflut "Abzocke" oder werde von ihrer Plattenfirma "gezwungen", ins Leere. Die kommerzielle Verwertbarkeit wäre im Falle eines konventionellen Live-Doppelalbums, strategisch mit dem beginnenden Weihnachtsgeschäft auf den Markt geworfen, ungleich größer. Und so lässt Björk auf ihrer eigenen Website lakonisch mitteilen, jeder könne sich doch individuell für oder gegen den Kauf ihrer Alben zu entscheiden - sie selbst nehme sich schließlich auch die Freiheit, nicht jede Veröffentlichung ihrer Lieblingskollegen zu kaufen.

Freiheit ist überhaupt eine zentrale Aussage ihrer Arbeit. Um kreativ sein zu können, benötigt sie ein Höchstmaß an Selbstbestimmung - Irrtümer eingeschlossen. "I thought I could organize Freedom", singt sie in "Hunter" und ergänzt selbstironisch: "How scandinavian of me !"

Also lässt sie sich nicht mehr "organisieren". Lars von Trier bekam das bei den Dreharbeiten zum gemeinsamen Film "Dancer in the Dark" schmerzlich zu spüren, und auch wer Björk in diesem Jahr bei einem ihrer zahlreichen Festival-Auftritte erleben konnte, bekam eine laute Ahnung von den extremen Ausmaßen ihres kreativen Universums, das sich immer weiter ausdehnt und mittlerweile von den bizarren Harmonien des Icelandic String Octett über die Harfenistin Zeena Parkins bis zu den dröhnenden Techno-Soundkollagen der Computer-Künstler Matmos reicht.

Und deshalb ermöglicht die umfassende Retrospektive der Extremkünstlerin Björk tiefe Einblicke in die verschiedenen Phasen ihrer Karriere und arbeitet - deutlicher als alle Veröffentlichungen vorher - ihre Entwicklung von der intuitiven Musikerin zur visionären Konzeptkünstlerin hervor.

© Michael Frost, 01. September 2003


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