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Vom Nordkap ans Kap der guten Hoffnung

 

Es war ein Ghetto, in dem sie sich längst offenbar nicht mehr wohl fühlte: Mari Boine war die Stimme der Sami, ihre kulturelle Botschafterin, die den Blick einer interessierten Öffentlichkeit auf die lange unterdrückten Bewohner der Polarregion Nordskandinaviens gerichtet hatte. Ihre hypnotischen Rhythmen, die ungewöhnliche Sprache und der beschwörende, als schamanenhaft empfundene Gesang wurde dabei nicht überall in der Klarheit verstanden, wie Mari Boine ihn gemeint hatte. So wurde sie zum Teil in die Nähe des Esoterischen gerückt, in die Nähe der New Age-Szene gerückt und so zur Hintergrundmusik von Eskapisten.

Die Wende kam bereits mit ihrem 2006 erschienenen Album "Idjagiedas / In the hand of the night", nun folgt der wohl endgültige Befreiungsschlag: "Sterna paradisea / Cuovgga Áirras" ist über weite Strecken ein Album, das sich in ganz anderen Regionen der Erde aufhält als in der Heimat der Sami.

Mari Boine erfüllte sich den Traum der Zusammenarbeit mit afrikanischen Musikern, den sie gleich im zweiten Lied des Albums, "Ipmiliin hálesteapmi / Conversation with God", realisiert. In dem berückend schönen, aber ebenso traurigen "Gespräch mit Gott", in dem es um die ewige Frage geht, wie er all das Unrecht der Welt so tatenlos geschehen lassen könne, sind neben Mari Boine noch die südafrikanische Sängerin Madosini und der Chor der "Abaqondisi Brothers" zu hören. Der 12-köpfige Chor tritt noch einmal in "Claudiinna lávalla / Claudine's song" in Erscheinung - die Stimmgewalt der Südafrikaner ist ein elektrisierender Kontrast zum hohen Timbre der Sängerin.

Daneben entstanden fantastische Songs wie "Skealbma", in denen eine vollkommen unerwartete musikalische Vision manifest wird: Ein donnernder Dancefloor-Rhythmus, der, entfernt an George Michaels "Freek" erinnernd, um arabische und afrikanische Stilelemente ergänzt wird, während Mari Boine und der Jazz-Trompeter Ole Jørn Myklebust - hier auch mit arabischen Vocals - sich ein mitreißendes Duell liefern, in dem Mari Boine selbst noch ihren charakteristischen Joik-Gesang unterbringen kann.

So zeigt sie, dass sie sich von den traditionellen Elementen ihrer früheren Alben nicht vollends trennen mag - warum auch? - aber ihr selbstbewusster, nach vorn gerichteter Umgang mit ihrer eigenen Herkunft ermöglicht ihr gleichzeitig die Öffnung zu anderen Einflüssen. In Madosini fand sie offenbar eine geistige Verwandte, die an verschiedenen Stellen des Albums immer wieder mit kleinen Versen zu hören ist.

Die Abkehr war mutig, und sie wird sicherlich den einen oder anderen Fan verprellen. Doch Mari Boine tut das einzig Richtige. Isolation bietet keiner Kultur eine dauerhafte Heimat, Perspektiven entstehen nur im Austausch mit anderen, und Gemeinsamkeiten lassen sich selbst über weiteste Distanzen finden - und plötzlich ist die Entfernung zwischen Nordkap und Kap der guten Hoffnung gar nicht mehr so groß.

© Michael Frost, 11.10.2009


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