Wenn
der Geist erstmal aus der Flasche entwichen ist, dann hat man Schwierigkeiten
ihn wieder einzufangen. Wer die Flasche des Bossanova entkorkte, ist
nicht bekannt - aber eigentlich hatte man diesen melancholischen Rhythmus
Brasiliens, der Ende der 1950er Jahre entstanden war, längst
ins musikhistorische Regal gestellt. Prädikat: schön, aber
von gestern.
Doch
jetzt hat jemand die Flasche geöffnet - und seither schlägt
Bossa Nova weltweit wieder Wellen. Vielleicht war es Bebel Gilberto,
die vor einigen Jahren von New York aus in die Spuren ihrer berühmten
Familie trat: ihres Vaters João Gilberto und ihrer Stiefmutter
Astrud ("The girl from Ipanema"), aber auch ihrer leiblichen
Mutter Miucha, auch diese eine berühmte Sängerin. Zwei Alben
veröffentlichte Bebel bislang, auf denen sie mit einer absolut
modernen, elektronisch unterstützten Version des Bossanova überzeugte,
doch offenbar ist sie längst nicht die einzige, die an die Zeitlosigkeit
der vergangen gewähnten Rhythmen glaubte. Vor allem in der Dance-Szene
Nordamerikas und Europas war Bossanova immer angesagtes Thema, und
von dort kehrte er nach Brasilien zurück.
Aus
Rio kommt dieser Tage bereits das dritte Album eines weiteren Bossanova-Projekts:
Bossacucanova, ein Trio aus DJ Dalua, Marcio Menescal und Alexandre
Moreira. Auch sie arbeiten mit zeitgemäßem Equipment, mixen
Bossa und Samba zu einem lässig temperamentvollen Dancesound.
Dabei bedienen sie sich nicht nur eigener Kompositionen, sondern auch
einiger Klassiker des Genres: Jobims "Águas de Marco",
Baden Powells "Feitinha pro poeta" und "Vai Levando"
(Caetano Veloso/Chico Buarque). Deren legendären Sound adaptiert
das Trio mit souveräner Selbstverständlichkeit, als seien
die Titel speziell für sie geschrieben.
Tatsächlich
mussten sie noch nicht einmal viel verändern. Lediglich einige
elektronische Spielereien unterstützen die treibende Basis des
Sounds, geben ihm zusätzliche Energie, doch das wirklich Begeisternde
dieser Musik braucht überhaupt keine digitale Nachbearbeitung,
es funktioniert heute noch genau so wie vor vierzig, fünfzig
Jahren.
Bossacucanova,
die auch bei dieser Produktion von vielen Vertretern der neuen Generation
des Bossanova unterstützt wurden, knüpfen durch die Verbindung
alter Meister, junger Nachwuchsstars und internationaler Sounds ein
Band der Verständigung sowohl zwischen den Generationen als auch
zwischen verschiedenen Kulturen. Sie beweisen damit, wie sehr die
brasilianischen Wurzeln von Samba und Bossanova Teil des globalen
Mainstreams geworden sind. Genau genommen konnte der Geist der Flasche
gar nicht entkommen - er war nie drin.
©
Michael Frost, 20. September 2004