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Als wäre die Zeit
stehen geblieben


Die Szenerie: Anfang der 80er, Hafenstadt an der Nordsee, Kneipe, eigentlich eine etwas herunter gekommene Spelunke. Es ist brechend voll, auch in der Woche; Freaks, Rocker, der letzte Punk, Trinker, Musik-Fans, das Durchschnittsalter ist höher als in den benachbarten Disco-Schuppen. Das Bier ist billig wie sonst nirgends, und der Wirt oft sein bester Kunde. Manche sagen, die Tische könnten einmal öfter abgewischt werden, und das schummrige Licht, das den verqualmten Laden nur schemenhaft erhellt, ist kein postmodernes Lichtdesign-Konzept, sondern schlichte Nachlässigkeit: niemand fühlt sich für das Wechseln der Glühbirnen zuständig.

Trotzdem fühlen sich alle wohl, trinken, quatschen, in einer Ecke kreist ein Joint. Von Aggressionen keine Spur. Aus den Lautsprechern hämmert Blues: vielleicht Fleetwood Mac mit Peter Green aus den 60ern, als die Band ihre beste Zeit hatte, und wahrscheinlich hat auch der junge Brite Ben Waters später eine ähnliche Kneipe gefunden und dort die Musik gehört, mit der er jetzt selber dort auftreten könnte.

Ben Waters ist erst in den Zwanzigern. Trotzdem kann der bereits auf Referenzen verweisen, die manch anderer während des gesamten Lebens nicht erreicht: Von Axel Zwingenberger über Dave Gilmour (Pink Floyd) bis Mick Jagger reicht die Liste derer, deren Musik er mit seinem gewaltigen Können am Blues- und Boogieklavier veredelte.

"Going nowhere fast" brachte ihn mit einem Partner zusammen, der doppelt so alt ist wie er selber: Rock Bottom, schwergewichtiger Blues- und Boogie-Spezialist aus den USA mit enormer Stimme und virtuosem Können auf der Bluesharp. Weitere Zutaten waren ganz offensichtlich nicht nötig, um ein fulminantes Blues-Album einzuspielen:

Wie einst im ehrwürdigen New Orleans legen die beiden los, als hätten sie schon seit Jahren zusammen Musik gemacht. Ben Waters drischt und hämmert derart gekonnt auf das Klavier ein, dass es ein Vergnügen ist; die so herrlich robuste Bluesharp verleiht den Titeln Körper und Charakter in einem - und der Gesang, den beide sich teilen, tut ein übriges, um den Funken endgültig überspringen zu lassen.

Leider wird "Going nowhere fast" die einzige Aufnahme des genialen Doppels Rock Bottom & Ben Waters bleiben. Denn kurz nach Fertigstellung der Einspielung (aufgenommen wurde im Tubetemple-Studio in Deutschland), die im Anschluss an eine gemeinsame Tour erfolgte, starb Rock Bottom im Alter von nur 54 Jahren. Seine Mischung aus Blues, Boogie und R&B jedoch, wie auf "Going nowhere fast" ist unsterblich.

Gäbe es die Kneipe noch, ich würde die CD dort spielen lassen. Als wäre die Zeit stehen geblieben.

 

Michael Frost, 02. Februar 2002

 


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