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Abstraktion und Verfremdung

 

Zum neuen Album liefert Boy Omega die Gebrauchsanweisung gleich mit. Es würde ihn freuen, teil er im Begleittext mit, "wenn es als eine gigantische Säge wahrgenommen würde: Die Gesamtheit der Zähne und Teile, ihr Ineinandergreifen, bildet eine übergeordnete Form, ein Muster."

Das sperrige Bild, das schon mal rein akustisch so gar nicht zu "The ghost that broke in half" passen will, vereinfacht den Zugang zur Musik zunächst nicht. Denn in Wahrheit hat der Sound weder etwas von der zerstörerischen Gewalt einer Säge noch ihr Lärmpotential. Boy Omega ist ein leiser, introvertiert wirkender Künstler, der die Musik offensichtlich als Mittel der Kommunikation und des Sich-Mitteilens entdeckt hat. Zahllose Songs, so heißt es, seien auf seinem Computer gespeichert, die wenigsten davon würden jemals veröffentlicht.

"Laptop-Folk" nannte on3-Radio seine Musik folgerichtig, mit dem zusätzlichen Hinweis auf die einfachen Bedingungen, unter denen Martin Gustafsson alias "Boy Omega" gemeinsam mit seiner Begleitband ihre Songs aufnehmen, nämlich zum Teil im heimischen Studio des Musikers in Göteborg.

Doch das Bild der "Säge" zielt gar nicht so sehr auf das Ergebnis ihres Wirkens, sondern auf das Gerät selber, die vielen kleinen Details und Komponenten, aus denen sie zusammengesetzt ist und sie schließlich zur Schwerstarbeit befähigen. So möchte Gustafsson "The ghost that broke in half" verstanden wissen: Als Gesamtkunstwerk, dessen Wirkung nicht auf der Grundlage einzelner Songs, sondern ihrer Summe erzielt wird. Ohne Pause gehen die Lieder deshalb ineinander über; einzelne Titel hervorzuheben ist unerwünscht, ebenso wie man bei einem Buch auch nicht einzelne Kapitel bespricht.

Dieses Bild erscheint schon stimmiger, und es ermöglicht immerhin, klangliche Schwerpunkte einzelner Kapitel festzumachen, die zwischen der Euphorie von "We're from Barcelona", der verspielten Verrücktheit eines Jens Lekman, dem ironischen Retrosound der Bright Eyes und der feierlichen Opulenz der Fleet Foxes changieren.

Da Gustafsson und seine Band (Calle Fredriksson, Per Ola Eriksson und Jonas Hasselgren) im Gegensatz zu vielen Kollegen keine Scheu vor dem Einsatz von Synthesizern haben, entwickelt sich aus dem Zusammenspiel von Akustik und Digitalsound ein Potential von Abstraktion und Verfremdung, das ansonsten im Singer/Songwriter-Genre nicht zu Hause ist. Doch gerade darin besteht der Reiz der Göteborger Soundtüftler - und ihr innovativer Vorsprung vor vielen Kollegen.

 

© Michael Frost, 15.11.2009


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