"Gott 
            wählt immer den Schlechtesten", sollen die Franziskaner 
            auf Angelo Branduardis Einwand, warum ausgerechnet er die Texte Franz' 
            von Assisi vertonen solle, geantwortet haben. Eine nette Koketterie 
            der Mönche, die natürlich genau wussten, dass Branduardi, 
            ausgewiesener Experte auf dem Gebiet klassisch-folkloristischer Popmusik, 
            geradezu prädestiniert erschien, sich auf eine musikalische und 
            philosophische Reise in die Vergangenheit - genauer gesagt ins 13. 
            Jahrhundert - zu begeben. 
          Nie 
            hat Branduardi einen Hehl aus seiner Liebe zu alter Musik gemacht. 
            Neben seinen zahlreichen Solo-Alben, in denen folkloristische Einflüsse 
            aus aller Welt immer eine zentrale Rolle spielten, entstanden bislang 
            zwei Aufnahmen mit einem klassischen Repertoire ("Futuro Antico 
            I + II"), das von mittelalterlichem Minnesang bis zu französischen 
            Rundtänzen reicht. Ein drittes Album mit neapolitanischer Volksmusik 
            sei bereits in Planung, sagte Branduardi kürzlich in einem Interview.
          Doch 
            derzeit hallt noch der Erfolg seiner "Pilger"-Reise in Dienstes 
            des Heiligen Franziskus nach: Nach Fertigstellung der elf Titel für 
            das Album, für das er beeindruckende Unterstützung von Ennio 
            Morricone, Franco Battiato, Madredeus und I Muvrini gewinnen konnte, 
            stellte Branduardi die Texte Franz' auf einer Tournee entlang der 
            alten Pilgerrouten quer durch Europa vor - vermutlich zur vollen Zufriedenheit 
            seiner Auftraggeber, der Konferenz der Franziskaner-Familien, die 
            Branduardi und seiner Frau Luisa die Lektüre von 2.600 Seiten 
            Originalquellen antrugen, um diese anlässlich des Heiligen Jahres 
            öffentlich zu präsentieren. Mit drei Begleitmusikern war 
            er unterwegs - "aber wir machen Krach wie zehn".
          Das 
            Unternehmen war eine ungeheuer anspruchsvolle Herausforderung. Franz 
            von Assisi ist in jeder Beziehung eine Ausnahmeerscheinung der Geschichte 
            (der Kirchengeschichte sowieso) mit ungebrochen aktueller Botschaft 
            (Branduardi: "... mehr als je zuvor auch Ausdruck der aktuellen 
            Leidenschaften und Probleme wie Armut, Krankheit, Außenseitertum, 
            Umwelt, Verhalten den Mitmenschen gegenüber, Krieg"). Daneben 
            war er aber auch der erste, der seine poetischen Texte in italienischer 
            Sprache niederschrieb "vulgare umbro" - dem Ur-Italienisch, 
            wie es im "normalen" Volk im 13. Jahrhundert in Umbrien 
            gesprochen wurde. 
          Als 
            Motto für das Album wählte Branduardi den Titel "L'Infinitamente 
            piccolo" (Das unendlich Kleine), nur scheinbar ein Widerspruch, 
            wie er erklärt: Franz von Assisi sei davon ausgegangen, dass 
            Gott nicht abseits der Menschen existiere, sondern vielmehr alle Kreaturen 
            Teile der göttlichen Existenz seien, also nach dem Prinzip, wie 
            man ein Blatt Papier theoretisch in unendlich viele Teile zerkleinern 
            könnte. 
          Franz 
            leitete aus dieser Theorie ab, dass der Mensch in Frieden und Harmonie 
            mit seiner Umwelt leben müsse (wie gesagt, vor 800 Jahren - man 
            hätte auf ihn hören sollen !), und den berühmtesten 
            Überlieferungen berichten von Franziskus' Gesprächen mit 
            Tieren. 
          Branduardi 
            hält diese poetischen Legenden in zwei Stücken fest: In 
            "Der Wolf von Gubbio" überzeugt Franz einen wilden 
            Wolf davon, die Dorfbewohner nicht mehr zu ängstigen, wenn diese 
            ihm im Gegenzug jeden Tag eine feste Mahlzeit garantieren würden. 
            Der Wolf willigte ein, bekam das versprochene Essen, alle lebten in 
            Frieden, und als er eines Tages friedlich starb, wurde er von der 
            Bevölkerung feierlich beigesetzt - das Grab ist in Gubbio noch 
            heute zu besichtigen. 
          In 
            einer weiteren Geschichte ("Franziskus verweilte in den Sümpfen 
            von Venedig, um zu predigen und alles schwieg") bittet Franz 
            einen Schwarm lärmender und herumflatternder Vögel, still 
            zu sein, damit er mit seinem Gefolge in Ruhe beten könne - und 
            letztlich beteten Pilger und Vögel gemeinsam. Diese und andere 
            Szenen sind in den weltberühmten Fresken von Giotto und Cimabue 
            in der Basilika von Assisi festgehalten worden. Nach dem großen 
            Erdbeben in Umbrien vor ein paar Jahren sind große Teile dieser 
            Kunstwerke von unschätzbarem Wert zerstört worden und wurden 
            in jahrelanger mühevoller Puzzle-Arbeit wieder zusammengesetzt. 
            
          Die 
            Poesie der zum Teil von Franz selbst überlieferten Texte müssen 
            ganz nach dem Geschmack Branduardis sein, der sich bereits in seinen 
            frühesten Arbeiten ("La pulce d'acqua", "Gulliver, 
            la luna ed altri disegni", "Alla fiera dell'est") mit 
            alten Volkssagen beschäftigte. Und wie schon damals gehen die 
            poetischen Texte eine wundervolle Symbiose mit Branduardis Musik und 
            Gesang ein. Nein - die Franziskaner haben beiweitem nicht den Schlechtesten 
            gewählt. Sie hätten gar keinen Besseren finden können.
          "L'Infinitamente 
            Piccolo" ist in den deutschsprachigen Ländern auch unter 
            dem Titel "Das unendlich Kleine" erschienen. Diese Ausgabe 
            beinhaltet neben den Liedern der italienischen Originalausgabe auch 
            eine deutsch gesungene Fassung des "Cantico delle creature", 
            dem "Sonnengesang". 
            
            Informationen: branduardi.it 
            (emi)
          MF 
            / 3. März 2001