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Eine weitere
Chance vertan


Es geschieht nicht alle Tage, dass eine Plattenfirma das Werk eines ihrer Künstler mit einem Box-Set aus drei CDs würdigt. Ein Musiker, dem diese besondere Ehre jüngst zuteil wurde, ist der italienische Liedermacher, Troubadour und "Minnesänger" Angelo Branduardi. Seit ziemlich genau dreißig Jahren prägt der Lombarde das italienische Canzone mit charakteristisch sanfter Stimme, virtuosem Geigenspiel und einer Lockenpracht, die über die Jahre zwar ergraut ist, aber noch immer so ungestüm aussieht wie auf dem Cover seiner ersten, selbst betitelten Schallplatte von 1974. Das Foto zeigte einen sensiblen, linkisch wirkenden jungen Mann mit schüchternem Blick, dessen Musik sich zwischen mittelalterlicher Sangspruchdichtung, romantischen Balladen und verwunschenen Fabelwelten bewegte.

Heute sind viele Lieder Branduardis Volksweisen, die von italienischen Kindern in der Schule gelernt werden ("Alla fiera dell'est", "La pulce d'acqua"), und seit einiger Zeit tourt er mit einem historisch gefärbten Musical über das Leben des Heiligen Franz von Assisi ("Francesco") durch ganz Italien. Dieser Produktion war ein Album mit Liedern zum gleichen Thema vorausgegangen, eine Auftragsarbeit für den Franziskaner-Orden, die zu einem überraschend großen Erfolg wurde und Branduardi, dessen Karrierehöhepunkt in der zweiten Hälfte der 70er Jahre lag, zu einem unerwarteten Comeback verhalf.

Damals, auf dem Gipfel der Liedermacher-Ära, waren im Abstand weniger Jahre drei Alben erschienen, die allesamt zu Klassikern wurden: "Alla fiera dell'est", "La pulce d'acqua" und "Cogli la prima mela", denen eine Live-Box mit drei LPs folgte, die Branduardis Triumphzug durch die Konzertarenen ganz Europas dokumentierte. Da Branduardi auch nach dem Abflauen der Liedermacher-Welle unbeirrt ständig neues Material produzierte (u.a. auch den Soundtrack zur Verfilmung des Michael Ende-Romans "Momo"), besteht an Material für das erwähnte Box-Set, das nun mit dem Titel "Platinum Collection" erschienen ist, kein Mangel.

Dennoch: Wie schon bei der vor wenigen Jahren erschienenen Doppel-CD "Studio Collection" wurde die Chance einer umfassenden Werkschau vertan. So bleibt völlig unverständlich, weshalb unter den insgesamt 55 Songs nur vier (!) von den drei "historischen" Alben stammen - und die entpuppen sich als sattsam bekannte Konzert-Versionen vom 1996 erschienen Live-Album "Camminando Camminando". Durch nichts zu rechtfertigen ist auch, dass diese Platten wie auch das Album "Branduardi 81" im Begleitheft noch nicht einmal erwähnt werden. Der eigentliche Grund für die unvollständige Sammlung, so ist zu hören, sei, dass Branduardis Plattenfirma EMI nicht die Rechte an all seinen Veröffentlichungen besitzt - und sich offenkundig auch nicht darum bemüht hat.

Dürftig ist im übrigen auch die Ausbeute denkbaren Bonus-Materials. Fans können sich erstmals über die bereits 1971 aufgenommene Originalfassung des vielleicht schönsten Branduardi-Songs "Confessioni di un malandrino" freuen und außerdem staunen, dass der Troubadour schon im selben Jahr ein (bislang ebenfalls unveröffentliches) Lied über Francesco d'Assisi geschrieben hatte. Doch neben einer neuen Fassung von "Il viaggiatore" ist die Liste bislang unveröffentlichter Songs damit auch schon komplett. Kaum zu glauben, dass hier nicht noch hörenswerte Live-Mitschnitte oder Archivmaterial aus Studioaufnahmen zur Verfügung gestanden hätte.

Nun bieten zwar auch die weiteren Alben Branduardis, etwa "Cercando l'oro", "Pane e rose", "Si può fare" und die Francesco-CD immer noch beeindruckende Kompositionen in ausreichender Zahl, aber die Chance einer umfassenden Würdigung Branduardis und seiner Leistung für die moderne italienische Musik wurde erneut vertan. Und so entpuppt sich die vermeintliche Würdigung eines bedeutenden Musikers als simple Geschäftemacherei.

© Michael Frost, 08. März 2005