vorschau  DEE DEE BRIDGEWATER
Konzerttermine

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Emanzipation
von einer Ikone

 

Schon seit Mitte der 1980er Jahre kreist Dee Dee Bridgewater in einer Mischung aus Respekt, Bewunderung und Angst um ihr großes Idol Billie Holiday. Zwar hat sie als Interpretin der Songs so unterschiedlicher Jazz-Größen wie Kurt Weill oder Ella Fitzgerald enorme Erfahrung, gilt sogar selbst als eine der bedeutendsten Jazz-Sängerinnen unserer Tage - doch mit Billie Holiday war alles anders.

1986 stand Dee Dee Bridgewater in Paris als Billie Holiday auf der Bühne, in der Produktin "Lady Day", und sang viele ihrer Songs. Die Produktion begann als "Dee Dee Bridgewater trifft Billie Holidays Stimme", sagt sie im Nachhinein, doch als die Show im darauf folgenden Jahr in London ankam, "gab es nur noch Billies Stimme. Sie hatte mich übernommen. Ich konnte nicht mehr selbst singen, als ob sie mich in Besitz genommen hätte."

Erst jetzt, nach fast 25 Jahren, traut sich Dee Dee Bridgewater wieder an das Material der größten Blues-Sängerin der Geschichte heran, und diesmal wendet sie einen spannenden Kunstgriff an, um ihrer Bewunderung und ihrem Respekt Ausdruck zu verleihen - dabei aber angstfrei zu bleiben. So widmet sie das Album nicht der Bühnenfigur mit dem weltberühmten Künstlernamen Billie Holiday, die auch "Lady Day" genannt wurde, sondern der Persönlichkeit dahinter, die 1915 als Eleanora Fagan auf die Welt kam - und 1959 nach einem kurzen Leben voller Höhen und Tiefen tragisch starb - der Welt jedoch ein überreiches musikalisches Erbe hinterließ.

Wenn sie ihre Hommage - fast zwangsläufig - mit "Lady sings the Blues" beginnt, dann ist die Überraschung groß: Denn nicht ausschließlich Blues ist hier das Thema, sondern verschiedene Spielarten des Jazz bis hin zu afrikanischen Rhythmen. Dee Dee Bridgewater überlässt ihrem exquisiten Ensemble spielerische Freiheit für Improvisationen, erweitert dadurch die Möglichkeiten der einzelnen Lieder, und indem sie sich die selbe Freiheit auch ihre gesangliche Interpretation nimmt, läuft sie nicht mehr Gefahr, in den Sog des Originals zu geraten und dadurch die eigene Identität zu verlieren. Sie nähert sich der großen Billie Holiday, indem sie sich von ihr entfernt, sich gewissermaßen emanzipiert.

Pianist Edsel Gomez zeichnet für die neuen Arrangements, die sich zum Teil recht weit von den Vorlagen entfernen, verantwortlich. Christian McBride (Bass), Lewis Nash (Schlagzeug) und James Carter (Saxophon, Flöte, Klarinette) komplettieren das Quintett, mit dem Dee Dee Bridgewater sich an die große Aufgabe heranwagte. Für die Musiker, so klingt es, war Eleanora Fagan eine starke, kraftvolle, dynamische Frau, die allerdings gleichzeitig auch sehr verletzlich und gefühlvoll sein konnte - und vielleicht deshalb schließlich an der Bühnenfigur, die sie für die Öffentlichkeit sein musste, scheiterte.

Der Komplexität dieser Persönlichkeit nähert sich Dee Dee Bridgewater mit großer Behutsamkeit. Wie bei einem Konzert hat man allerdings auch beim Hören des Albums den Eindruck, als würde ihr Mut im späteren Verlauf deutlich zunehmen. Nach gelungener Selbstbefreiung traut sie sich schließlich sogar, in "Fine and mellow" in die verrauchte Atmosphäre eines Blues-Liveclubs hinabzusteigen; dorthin also, wo Billie am größten war, den treibenden Blues-Rhythmus des Schlagzeugs zuzulassen und sich auf dieser Grundlage mit ihrem Saxophonisten James Carter wilde und höchst inspirierende Duelle zu liefern - bei weitem nicht der einzige Moment, in dem Dee Dee Bridgewater über sich hinauswächst.

Am Ende kann sie das schon immer zutiefst berührende "God bless the child" völlig frei interpretieren - und man spürt, wie Billie ihr leise zulächelt.

 

© Michael Frost, 07.03.2010


[Archiv] [Up]