Sie
sind seit ein paar Jahre so etwas wie die Hohepriester des Neo-Folkrock:
die Bright Eyes mit ihrem Frontmann Conor Oberst. Jüngst reichte
die Kreativität der US-Band gar für zwei parallel erschienene
Alben: "I'm wide awake, it's morning" und "Digital ash
in a digital urn". Das eine Album folgte der Neo-Folk-Spur, das
andere setzte digitale Zeichen; umjubelt wurden sie beide.
Nun
folgt "Cassadaga", benannt nach einem spirituellen Camp
in Florida, und folgt man den Bright Eyes auf ihrer Reise, dann ist
der Ort womöglich symptomatisch für die Zustand der Vereinigten
Staaten im Jahr 2007: ein Land auf der Sinnsuche, aber auch ein Land,
das sich verirrt hat und nun bereitwillig falschen Heilsbringern folgt.
"The
Bible is blind. The Torah is deaf. The Qur'an is mute. If you burned
them all together you'd get close to the truth", empfiehlt
Oberst als Ausweg aus einem Konflikt ("Four winds"), der
nicht nur die USA im Inneren, sondern auch die internationale Gemeinschaft
zu zerstören droht, und mit dem provokanten Text legt er den
Finger tief in die Wunde, während die Musik sich betont harmlos
gibt und seiner fröhlichen Fiedel wie ein alter Song der irischen
Waterboys klingt.
Überhaupt
vermeiden die Bright Eyes auf "Cassadaga" weitestgehend
musikalische Eskapaden. Überraschend altmodisch, aber sehr wirkungsvoll
und charmant, setzen sie immer wieder ein Geigenensemble ein, das
die zum Teil skurrilen Geschichten mit luftigen Schwingungen und klassischen
Harmonien kontrastiert, indem es Country-, Hillbilly- und Irish-Folk-Harmonien
zitiert.
Ähnlich
retrospektiv klingen auch die Background-Sängerinnen; gemeinsam
mit der schnörkellosen Stimme Conor Obersts erinnern sie an den
70er-Jahre-Sound eines Leonard Cohen, bisweilen an Bob Dylan.
So
entpuppen sich die gefeierten Vordenker in Wahrheit als Anhänger
klassischen Songwritings. "Cassadaga" ist daher auch eine
Hommage, eine Verneigung vor ihren Wegbereitern aus Country, Folk
und Akustik-Pop, und dennoch eine ganz eigenständige Angelegenheit,
mit einer eigenständigen Botschaft. Und die ist wiederum symptomatisch
für unsere Zeit und erschütternd in der Unumkehrbarkeit
unserer Welt: "Little soldier, little insect, you know war
it has no heart // it will kill you in the sunshine or happily in
the dark // ... // so love me now // hell is coming // kiss my mouth
// hell is here ..." ("No one would riot for less")
©
Michael Frost, 21.04.2007