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Stiller Ozean


Einer der ganz wenigen Jazzmusiker, der das Genre regelmäßig überschreitet und zum Popstar wurde, ohne seine Herkunft zu verraten oder seine Ziele aufzuweichen, ist Till Brönner. Langsam, aber beständig, erweiterte der inzwischen 35-Jährige seinen Horizont - und seinen Wirkungskreis, weshalb er längst nicht mehr nur Deutschlands berühmtester Jazzmusiker ist, sondern auch international zu einem gefragten Namen aufstieg.

Sein aktuelles Album "Oceana" dürfte deshalb als eine Art "Etappenziel" zu werten sein. Brönner reiste dafür nach Hollywood. In der entspannten Atmosphäre der Westküste entstanden zwölf bemerkenswerte Titel, in denen Till Brönner Zwiesprache mit seiner Trompete hält, unaufgeregt, Gedanken verloren, sinnierend - round midnight.

Nichts und niemand stört diese nächtliche, introspektive Stimmung, und Brönner mit sanftweichem Anschlag schon gar nicht. Auch seine Begleiter halten sich dezent zurück: Larry Goldings (p), Dean Parks (git), David Piltch (b), Jay Bellerose (dr) und Produzent Larry Klein lassen viele Leerstellen, die der eigenen Assoziation Freiräume bieten und vertrauen ganz auf die Wirkung der Stimmung, die ihr bedächtiges Spiel erzeugt.

Und dort, wo die Instrumente nicht mehr hinreichen, setzt Gesang ein und verschmilzt mit Brönners Trompete. Die Gastsängerinnen sind exquisit, und ihre Performance jeweils Atem beraubend. Eine wundervolle Carla Bruni ist mit dem Leonard Cohen-Cover "In my secret" zu hören, die Brasilianerin Luciana Souza versprüht mit "Pra dizer adeus" leises Bossanova-Flair, und die stets großartige Madeleine Peyroux setzt mit Hank Williams' "I'm so lonesome I could cry" nochmals einen besonderen emotionalen Glanzpunkt.

Und auch Brönner stellt an einer Stelle die Instrumente in die Ecke, um in "River man" selbst zu singen. Der Klassiker des jüngst allseits wieder entdeckten Songwriters Nick Drake fügt sich bruchlos in die ruhige Atmosphäre von "Oceana" ein. Keine Schaumkrone, kein Wellengang bricht den Widerschein des nächtlichen Himmels: es muss der Stille Ozean sein, der hier beschrieben wird. Die Gesangsstücke schützen dabei vor allzu großer Gleichförmigkeit des Albums, dem darüber hinaus das Kunststück gelingt, bei aller Harmonie niemals rührselig, glatt oder gefällig zu wirken. Mag sein, dass dies für den 'echten' Jazz zu wenig ist, doch für die Popmusik ist Brönners Jazz eine Bereicherung.

 

© Michael Frost, 28.04.2006


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