Nicht
Hiphop, nicht Britpop und auch nicht Techno war der Rhythmus, zu dem
die Welt ins neue Jahrtausend tanzte. Der Sound zum Milleniumwechsel
hieß "Son", hat auch schon die 19./20. Jahrhundert-Wende
erlebt und kommt aus Kuba. Die aktuellen Megastars des "Son"
sind, was ihr Alter angeht, weit über jede Rentengrenze hinaus
und könnten, hätten sie nicht mit der unvergleichlichen Omara
Portuondo auch eine Frau in ihren Reihen, als die älteste Boygroup
der Welt gelten.
Son
ist natürlich von den verschiedensten lateinamerikanischen und
afrikanischen Rhythmen inspiriert. Vergleichbar dem Jazz bezieht der
"Son" seine Lebendigkeit und Emotionalität aus dem
Platz, den er den Musikern zur Interaktion und Improvisation einräumt.
Sänger und Instrumentalisten des "Son" spielen nicht
neben-, sondern miteinander, sie reagieren aufeinander und treiben
die Melodie gegenseitig an.
Compay
Segundo, Ibrahim Ferrer, Ruben Gonzales, Eliades Ochoa und die weiteren
Mitglieder des "Buena Vista Social Club" (benannt nach einem
nur für Mitglieder zugänglichen Club im Osten Havannas,
in dem sie schon in den 40er Jahren auftraten), genießen jetzt
verdientermaßen ihren späten Ruhm, zu dem ihnen zwei Nicht-Kubaner
verhalfen: Der Studio-Musiker Ry Cooder "reaktivierte" die
Gruppe 1996 und produzierte mit ihnen das hier besprochene Album,
ließ sie die alten Lieder neu aufnehmen und gesellte sich gemeinsam
mit Sohn Joachim dazu.
Obwohl
das Album in den USA sofort mit einem Grammy ausgezeichnet wurde,
setzte der endgültige Durchbruch erst mit dem Dokumentarilm von
Wim Wenders ein, für den der Buena Vista Social Club erneut zusammenkam,
um gemeinsam eine CD zu produzieren, die den 1927 geborenen Sänger
Ibrahim Ferrer in den Vordergrund stellen sollte.
Das
Publikum war hingerissen. Mit dem ersten Ton der CD gerät das
Blut in Wallung, alles swingt im Rhythmus von Compay Segundos "Chan
Chan" bis zur letzten Note von "La Bayamesa", einer
Komposition, die bereits 1868 entstand.
Selten
zuvor hatte man so junge alte Menschen gehört, die alte Musik
so jung interpretieren. Unfassbar, wie der 80-jährige Pianist
des "Club", Ruben Gonzales virtuos auf den Tasten spielt,
die er nach eigenem Bekunden wegen einer fortschreitenden Arthritis
ewig nicht angerührt hatte. Zum Sterben schön ist auch der
von Ibrahim Ferrer mit der Leidenschaft der ersten Liebe und einem
Timbre irgendwo zwischen Caruso und Louis Prima gesungene Bolero über
die unerwiderte Liebe ("Dos Gardenias").
Die
besondere Leistung von Ry Cooder bei der Veröffentlichung der
Platte liegt in der Wiederentdeckung des "Clubs" selbst.
"Er hat einen Schatz gehoben", war in einer Kritik zum Wim
Wenders-Film zu lesen, und treffender kann man es gewiss nicht ausdrücken.
Aber:
Cooder und Wenders sei Dank, es kommt noch besser: Der Erfolg dieses
ersten gemeinsamen Werks hat alle Alterskrankheiten der betagten Musiker
heilen lassen, so dass sie immer wieder ins Studio eilen, um neue
Alben aufzunehmen. Dazu gehören die erwähnte CD von Ibrahim
Ferrer, eine weitere von Ruben Gonzales und neuerdings auch von Omara
Portuondo. Daneben wurden mittlerweile auch ältere Aufnahmen
der alten neuen Mega-Stars wiederentdeckt und veröffentlicht.
Jetzt
kann man sich nur noch wünschen, dass Cooder und Wenders ihre
Reise fortsetzen und weitere Schätze heben. Vollblutmusiker vom
Schlage eines Compay Segundo gibt es vermutlich überall auf der
Welt. Einzige Voraussetzung sie zu finden: Die Bereitschaft, sich
auch mal abseits der ausgetretenen Pop/Rock-Pfade umzuhören.
AG
/ 09. Januar 2001