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Jenseits der
Texmex-Grenze


Bevor sie sich an die Arbeit für ihr neues Album machten, haben die "Wüsten-Rocker" von Calexico sich den Staub aus dem Anzug gebürstet, vor dem Betreten des Studios die Stiefel abgetreten und brav die Hände gewaschen. So überraschend gepflegt geht es auf "Carried to dust" bisweilen zu, dass der Albumtitel fast ironisch scheint.

Auch wenn der erdige Grundton der Drums noch spürbar ist (etwa in "Two silver trees"), auch wenn es kaum eine Minute dauert, bis die Mariachi-Bläser ihren ersten Auftritt haben ("Victor Jara's hands") - man ist Härteres gewohnt von den Kritiker-Lieblingen aus Tucson, Arizona. Erst mit "Man made lake" wird das Tempo angezogen und die Gitarren aufgedreht, und direkt im Anschluss folgt "Inspiración", ein feuriges Duett mit der andalusischen Mestizo-Rockröhre Amparo Sanchez (Amparanoia).

Dennoch: Calexico sind keineswegs zu Couchpotatoes mutiert. Sie haben lediglich ihre Stärken verfeinert und den Sound erweitert. Country spielt eine große Rolle: In "Slowness", einem Duett mit der Kanadierin Pieta Brown, erkennt man den Einfluss der großen Emmylou Harris. Und selbst, wenn diese Countryballade nicht repräsentativ für das ganze Album ist, so bleibt doch festzuhalten, dass ein überraschend großer Teil des Calexico-Sounds 2008 jenseits der Texmex-Grenze liegt - einiges davon eben in der Umgebung von Memphis, anderes vielleicht in Louisiana - und die Geschichten kommen aus der ganzen Welt.

Wohl nicht zufällig hat die Band das Stück "Victor Jara's hands" an den Anfang gestellt. Der chilenische Sänger und Regisseur wurde nach dem 1973 von der CIA unterstützten Militärputsch gegen den demokratisch gewählten Präsident Allende verhaftet, gefoltert und ermordet. "Seine Geschichte", sagt Calexico-Frontmann Joey Burns, "ähnelt in vielem dem, was heute passiert - Guantanamo Bay, Abu Ghraib." Den Chilenen, die während der Pinochet-Diktatur im Exil leben mussten, widmeten sie den Song "House of Valparaiso".

"Carried to dust" bekam auf diese Weise ein Thema, und darin bleibt die Band ihrem Anspruch treu, Politisches und Musikalisches miteinander zu verbinden. So macht dann auch der Ausflug in die traditionell konservative Country-Szene Sinn: Selbstbewusst reklamiert die Band den Countrypop für sich und das 'andere' Amerika, jenseits von Cowboy-Kitsch und Lagerfeuer-Romantik entwerfen sie ein nüchternes Bild des heutigen Amerika, den großen sozialen Spannungen, den Auswirkungen der Globalisierung, dem tiefen Graben (bzw. dem undurchlässigen Zaun) zwischen reichem Norden und armen Süden des Kontinents. Und diese Geschichten brauchen keine krachenden Gitarren und kein Soundgewitter - sie verlangen nur gute Erzähler mit klarem Blick auf das Wesentliche. Und als solche sind Calexico längst eine feste Größe im Musikgeschehen.


© Michael Frost, 24.08.2008

 


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