Als 
            wir diese Review Anfang September schrieben, dachten wir noch, wir 
            seien spät dran: Der Musik-Express hatte "Paper Scissors 
            Stone" bereits im August zur "Platte des Monats" erkoren. 
            
          Manchmal 
            kann man aber auch zu spät, gar hoffnungslos zu spät sein: 
            Denn Catatonia gaben am 21. September ihre Auflösung bekannt, 
            nur knapp einen Monat nach Veröffentlichung ihres Albums. Grund: 
            Sängerin Cerys Matthews hat die Band verlassen, die Verkaufszahlen 
            von "Paper Scissors Stone" seien ebenso enttäuschend 
            wie die der Single-Auskopplung "Stone by stone". Darüber 
            hinaus hatten Gesundheitsprobleme von Matthews die Promotionarbeit 
            der Band während der letzten Wochen behindert.
          Sei's 
            drum. Der überraschende Split, auch der aus Band-Sicht mangelnde 
            Erfolg kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Paper 
            Scissors Stone" in Wahrheit ein fabelhaftes Album ist, wie man 
            spätestens nach dem dritten, vierten Hören erkennt, wenn 
            man die harmonischen Pop-Rock-Melodien der Band aus Wales nicht mehr 
            aus den Ohren bekommt und das Album unbedingt und jederzeit nochmals 
            und nochmals hören muss, ohne genau begründen zu können, 
            warum. 
          Denn 
            so bahnbrechend neu und aufregend ist das auf den ersten Blick eigentlich 
            nicht, was das Quintett auf seinem vierten (und wohl letztem) Studioalbum 
            veranstaltet, aber dafür umso nachhaltiger. Die Songs haben geradezu 
            magische Anziehungskraft, die dazu zwingt, "Paper Scissors Stone" 
            immer wieder zu hören. Ausnahmslos alle Titel des Albums besitzen 
            Charisma, Individualität, Lebendigkeit. Sie überzeugen, 
            weil sie überzeugend vorgetragen werden. Rund und kantig zugleich, 
            Pop und Rock, Matthews' Stimme gleichermaßen Honig und Sandpapier 
            - Charakter durch ausgelebten Widerspruch. 
           
            Das 
              Album beginnt mit einem offensiven Streicher-Opening, abgelöst 
              durch die erste Begegnung mit der zart-wehmütigen Stimme Cerys 
              Matthews' in "Godspeed" ("paradise is lost at hand 
              ...") mit seinen epischen Arrangements, wechselt dann zum rockenden 
              "Immediate circle" und dem philosophischen "Fuel", 
              das die Absurdität menschlichen Daseins ebenso treffend wie 
              ironisch kommentiert: "We'll build new ring roads to go nowhere 
              in particular ..."
            Opulente 
              Refrains wie in "Stone by stone", "The mother of 
              misogyny" oder "Arabian Derby" fräsen sich unwideruflich 
              in den Gehörgang, und die fassungslose Frage "Is everybody 
              here on drugs ?" ist eine beißende Hymne gegen den alltäglichen 
              und gesellschaftlich völlig akzeptierten Drogenmissbrauch mit 
              Psychopharmaka, den "Uppers" und "Downers", 
              die uns ärztlich verordnet entweder aus der Depression reißen 
              oder in Tiefschlaf versetzen sollen, bis wir ohne sie überhaupt 
              nicht mehr leben können. 
           
           
            Gerade 
              weil "Paper Scissors Stone" eigentlich ein ganz konventionelles 
              Album ist, das weder Moden kreiert oder ihnen hinterher läuft, 
              es auch nicht nötig hat, durch besonders extravagante Einfälle 
              in Aktusik und Optik auf sich aufmerksam zu machen und dennoch alles 
              andere als "Mainstream" ist, hat es das Zeug zum zeitlosen 
              Klassiker, dessen textliche und musikalische Qualitäten auch 
              in einigen Jahren noch aktuell sein werden - möglicherweise 
              erst dann richtig eingeschätzt werden.
            Ein 
              Jammer, sollten wir bis dahin auf weitere Catatonia-Alben verzichten 
              müssen ! 
            MF 
              / 29. September 2001