Der 
                    brasilianische Film "Orfeo Negro" wurde nicht nur 
                    von den Rhythmen und Bildern des Karnevals, von der Authentizität 
                    der Darsteller, von der Exotik der Schauplätze getragen, 
                    sondern ganz erheblich auch von seiner Musik, vor allem von 
                    einem unsterblich gewordenen Lied, mit dem Antonio Carlos 
                    Jobim die "Tristezza" der Bewohner in den Favelas 
                    um den Zuckerhut herum zum Leitmotiv erhoben hat. "A 
                    Felicidade" heißt jener Evergreen, der dem Film 
                    von Marcel Camus geradezu einen Heiligenschein aufgesetzt 
                    hatte. 
                  Der 
                    brasilianische Regisseur Fernando Meirelles knüpft mit 
                    "City of God" in mehrfacher Hinsicht an den fast 
                    ein halbes Jahrhundert alten Kinoklassiker an. Es ist die 
                    ästhetische Kraft der Bilder und die Authentizität 
                    der Darsteller, die - so Anke Sterneborg in "epd-Film"(5/03) 
                    - "die Wahrhaftigkeit der Milieustudie" beglaubigen. 
                    Die Kritikerin nennt "City of God" einen "energiestrotzenden, 
                    vibrierenden Actionfilm". 
                  In 
                    seiner Musik aber unterscheidet er sich erheblich von "Orfeo 
                    Negro": Die beiden Komponisten Antonio Pinto und Ed Cortes 
                    haben in ihren Soundtrack zwar auch klassische Lieder des 
                    brasilianischen Samba aufgenommen, aber ihre eigene Musik 
                    setzt sich ab von dem lyrisch-romantischen Tonfall, der die 
                    Tristezza zum weltweiten Exportschlager machte. In ihren direkt 
                    für den Film komponierten Instrumentalstücken dominieren 
                    Blechbläser, Keyboard und eine ausdifferenzierte Percussion-Sektion, 
                    die bei aller Vielfalt immer transparent bleibt. 
                  Im 
                    Begleittext spricht Antonio Pinto von der großen Herausforderung, 
                    eine Musik zu finden, die die "Magie" des Films 
                    und seiner (Laien-)Darsteller unterstütze. Pinto und 
                    Cortes, die die Musik nicht nur komponiert, sondern - neben 
                    einigen Gästen - auch selber eingespielt haben, wollten 
                    keine "epic, emotional music" und verzichten deshalb 
                    vollständig auf Einsatz von Streichern. 
                  Sie 
                    orientieren sich am musikalischen Design der drei Zeitebenen, 
                    von denen die Story erzählt: Die 60-er, die beginnenden 
                    und die späten 70-er Jahre. Das bedeutet in den Worten 
                    des Komponistenduos: "American black music, funk, samba 
                    and Brazilian funk-samba." 
                  Fernando 
                    Meirelles, der die beiden Komponisten als erste und einzige 
                    Wahl für seinen Film betrachtet, erläutert die Auswahl 
                    der in den Soundtrack eingefügten Lieder: Für die 
                    60-ger, die Ära der "romantischen Outlaws", 
                    verwenden sie traditionelle Sambamusik klassischer Songwriter 
                    wie Cartola (sehr eindringlich und fast so schön wie 
                    die Musik von Jobim: "Preciso me encontrar" mit 
                    Gitarre und Fagott). 
                  Für 
                    die 70-er Jahre stehen Exponenten unterschiedlicher Mischungen 
                    aus Samba und Funk. "Metamorphose Ambulante" von 
                    Raul Seixas ist eine ruhige Soulnummer aus dem Geist des 70-er 
                    Jahre-Rock, "Convite para Vida" eine ebenso ohrwürmige 
                    wie swingende Tanznummer, während "No caminho do 
                    bem" von Tim Maia mit schärferen und Funk-Riffs 
                    unterlegt ist. 
                  Für 
                    die letzte Phase der Filmstory, die Zeit der blutigen Gang-Kriege, 
                    werden Pinto und Cortes noch dunkler: Eine harte Spannung 
                    liegt in den treibenden Rhythmen der letzten beiden (Instrumental)stücke, 
                    das polyrythmische Percussion-Stück "Morte Ze Pequeno" 
                    unterstreicht mit heftigem Tempo den Tod eines der Protagonisten, 
                    das Finale "Batucada" haben mehrere DJ-s so remixt, 
                    dass ein brasilianischer Techno-Beat entstanden ist, in seinem 
                    abgefederten Klang weit entfernt von jedem platten Hammersound. 
                    
                  Pinto 
                    und Cortes sind Minimalisten, ihre Musik verwässert und 
                    verkitscht nicht, sie zitieren klassische Songs nicht, weil 
                    sie "schön" sind und irgendwie passen, sondern 
                    als quasidokumentarisches Zeitbild. Sie verzichten - wie Regisseur 
                    Meirelles - auf jeden anrührenden Schmelz, sie unterstreichen 
                    und kommentieren mit ihrer Musik, was die starken Bilder erzählen. 
                    Diese Zurückhaltung hat nichts mit vordergründiger 
                    Gebrauchsmusik zu tun, sie ist ein Kunststück an Bescheidung. 
                    
                  Dass 
                    ein intelligenter Soundtrack weniger Beachtung findet als 
                    manche wohlfeile Ansammlung eingängiger Songs, mag verständlich 
                    sein, wäre aber nicht nur "filmhistorisch" 
                    zu bedauern. Wer "City of God" gesehen hat, wird 
                    diese Musik schätzen, denn sie spricht - versteckt hinter 
                    ihren rauen Klangbildern - natürlich von jener Tristezza, 
                    die sie als Folklore außen vor läßt.