Rot 
            und Blau - red and blue - symbolisieren in der Musik zwei entgegen 
            gesetzte emotionale Richtungen. "Red" bezeichnet pulsierendes 
            Aufbegehren und exaltierte Lebendigkeit, "Blue" die sentimentale 
            Leidenschaft, tiefgründige Melancholie oder gar Verzweiflung, 
            introvertiertes Selbstgespräch. 
          Wer 
            also sein Album "Red Blues" nennt, bewegt sich bewusst zwischen 
            zwei Extremen. Doch mit Extremen hat die 1956 im irischen Galway geborene 
            Mary Coughlan einige Erfahrungen. Ihre Biographie erzählt von 
            einer Jugend zwischen Klosterschule und Drogenproblemen, Umzug nach 
            Großbritannien, Heirat und anschließende Rückkehr 
            mit ihren inzwischen drei Kindern nach Irland, dort die ersten musikalischen 
            Erfolge, anschließend erneuter Rückfall in die Sucht, mehrfacher 
            Klinikaufenthalt, schließlich 1993 eine erfolgreiche Entziehungskur 
            und offenbar der Beginn eines neuen, vielversprechenden Abschnitts 
            im Leben der Mary Coughlan. 
          Vielleicht 
            beschreibt ihre Lebensgeschichte die unzähligen Abstürze 
            in Drogen und Alkohol besonders ausführlich, weil in dieser Phase 
            des Leidens die Ursache für die Authentizität gesehen wird, 
            mit der sie den Blues singt. Eine besondere Faszination hegt sie für 
            das Repertoire der unvergessenen Billie Holiday, der sie erst vor 
            einiger Zeit eine Multimedia-Show "Lady sings the blues" 
            widmete, die in London und Dublin erfolgreich aufgeführt wurde, 
            und auch auf "Red Blues" findet sich mit dem A Capella gesungenen 
            "Strange fruit" ein Holiday-Klassiker. 
          Scheinbar 
            mühelos macht sie sich Songs aus ganz unterschiedlichen Genres 
            zu Eigen, so beispielsweise Grace Jones' Disco-Hit "Pull up to 
            the bumper" oder Randy Newman's "You can leave your hat 
            on", das den meisten in der Version von Joe Cocker bekannt sein 
            dürfte. Mary Coughlan hat den Song komplett überarbeitet, 
            das Tempo verlangsamt und die Lautstärke gedämpft und dem 
            Titel dadurch eine neue, dichte und intime Atmosphäre verliehen, 
            die in dieser Form bislang nicht zu hören war. 
          "Red 
            Blues" wurde unter Beteiligung von Peter O'Brian (Piano), Frank 
            Mead (Saxophon), Bill Rich (Bass) und Kester Smith (Drums) und des 
            Gitarren-Trios "Tri Continental" in Bremen eingespielt. 
            In der Stadt hatte Mary Coughlan zuvor am renommierten "Women 
            in (E)motion"-Festival teilgenommen. 
          Und 
            so scheint sich das Leben von Mary Coughlan doch noch zum Guten zu 
            wenden. Den Blues als Ausdrucksform und Verarbeitung ihrer ambivalenten 
            Lebenserfahrungen verkörpert sie mit außergewöhnlicher 
            Intensität und dem warmen Timbre ihrer vielschichtigen Stimme. 
            
          Michael 
            Frost, 16.03.2002