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Offen, mutig, radikal
von Hans Happel


Schon bein ersten Hören fasst die Musik an. Beim mehrfachen Hören entwickelt sie einen Sog, der zunehmend stärker wird: Das "Chicago Underground Trio", das in seiner jetzigen Formation seit vier Jahren besteht, zeigt mit seinem dritten Album "Slon", dass diese Youngster der globalen Jazz-Szene aufregende Newcomer sind.

Nicht, weil sie alles neu und alles anders machen, wie der Topos "Underground" in ihrem Namen vielleicht versprechen würde, sondern weil sie untergründig an die Geschichte des Jazz anknüpfen und am Netz dieser Geschichte weiterspinnen.

Rob Mazurek (Kornett und Computer), Chad Taylor (Percussion, Vibes) und Noel Kupersmith (Bass, Computer) verbinden computer-animierte Klangexperimente mit elekro-akustischer und akustischer Musik, die minimalistische rhythmische und melodische Pattern bevorzugt, aber ihr Minimalismus greift tief in die Geschichte des Modern Jazz zurück: die Klangsprache dieser Gruppe lebt von jener "sophistication der Einfachheit", die Joachim-Ernst Berendt Miles Davis zugesprochen hat.

Der - in Berendts Worten - "kühl-glühende Protestgedanke" des legendären Trompeters findet sich im Spiel des Kornettisten Rob Mazurek wieder. "Protest" heißt der von ihm selbstkomponierte erste Titel des Albums, der mit einem kurzen und kräftigen ostinaten Thema beginnt, das dann vom Bass übernommen wird, während das Kornett ein zweites Thema darüber legt. Das Grund-Thema klingt wie ein prägnanter Slogan, wie ein Protest-Ruf, und in der Tat verstehen die drei ihr Album ausdrücklich als "anti-war-record".

Der Krieg im Irak, schreiben sie im Pressematerial, habe einen unmittelbaren und tiefen Einfluss auf ihre Musik gehabt, denn er begann wenige Tage nach dem Start ihrer Europa-Tournee, die hier mehrfach Spuren hinterlassen hat. Etwa in Stücktiteln wie "Zagreb" oder "Palermo", in dem Original-Fischmarktgeräusche der sizilianischen Stadt eingewoben sind. Auch in dem titelgebenden "Slon", was auf slowenisch "Elephant" heißen soll. Darin entwickeln sie ein hochdifferenziertes, feines Percussion-Spiel, das sich aus computeranimierten Klängen zusammensetzt: das rauscht, knarrt, knattert, bimmelt, bis sich aus dem ungeordneten Geräuschteppich allmählich ein mitreissend groovender (Maschinen-)Rhythmus ergibt, über den ein gedämpftes Kornett improvisiert, "kühl-glühend", melancholisch-verhalten.

Das Trio entwickelt in allen Stücken - unter und neben klassischen Cool Jazz- und Hardbop-Anleihen - ein starkes Blues-Gefühl, eine emotionale Power, die durch den strengen Minimalismus erfrischend unterkühlt wird. Es ist dies eine emotion, die niemals ins verdickt-sentimentale ausrutscht, die den Protest-Gedanken als musikalischen Gedanken formuliert.

Gelegentlich bleiben die drei Jungs aus Chicago in clusterartig gefügten impressionistischen Klangteppichen hängen, manchmal blenden sie sich einfach aus (zum Beispiel aus dem Fischmarkt in "Palermo", dem sie ein einziges anrührend schlichtes Thema mitgeben), und zum Schluß - in "Pear" - verabschieden sie sich geradezu traditionell mit einer zarten simple melody.

Was auch immer aus dieser Gruppe noch werden kann, schon jetzt ist klar: Ihre Musik ist außerordentlich eigenwillig, sie ist einfach und vertrackt zugleich, das Kornettspiel von Rob Mazurek hat einen unverkennbaren Stil, treibend, elegant-geschmeidig, fast vibratolos legt Mazurek weniger Wert auf Brillianz als auf den sehr irdischen Charakter seines Spiels, ebenso wie seine beiden Sidemen nicht nur Virtuosen sind, (Bassmann Kupersmith entwickelt in einigen Stücken eine geradezu rasende Geläufigkeit), sondern - wie Mazurek - Komponisten mit Eigensinn.

"Slon" ist in jeder Hinsicht eine Gemeinschaftsarbeit, sehr mutig, radikal ehrlich, weit ab vom mainstream, offen für Neues und zugleich eine Hommage an die großen Traditionen des Jazz. Die Frische und Spontaneität des Albums betonen die drei Undergroundler auch in und mit ihrem enormen Produktionstempo: aufgenommen, gemischt und fürs Band geschnitten jeweils innerhalb eines einzigen Tages, klingt das Ergebnis wie aus einem Guss.

"Chicago Underground Trio: Slon"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 24. Januar 2004

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