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Der dritte Geniestreich

 

"Tripper" war ein Klangwunder. Das vor sechs Jahren an dieser Stelle zum Album des Jahres ausgerufene Efterklang-Debüt war eine Offenbarung, weil die Dänen alles über den Haufen warfen, was selbst innovativste Bands wie Radiohead und Sigur Rós bis dahin formuliert hatten. Die Gesangspartien erweiterten sie zu Chorälen, ihre Streichersätze ließen die Luft gefrieren, digitale Elemente wurden unter ihrer Regie zum Störfunk - und wo andere sich in gezieltem Minimalismus hinter ihren Laptops verschanzten, erweiterten Efterklang ihre Soundfrickelei zur Sinfonie - sagenhafte 34 Gastmusiker waren an dem Album beteiligt, während die traditionelle Gitarrenrock-Besetzung ganz weit in den Hintergrund geriet.

Dem kreativen Chaos, das auf "Tripper" herrschte, ließen Casper Clausen, Mads Brauer, Thomas Husmer und Rasmus Stolberg ein überraschend kalkuliertes, fast geometrisches Album folgen. "Parades" unternahm den Versuch, Eschers "Unmögliche Treppe" in Musik umzusetzen. Was sich auf "Tripper" nach Sturm und Drang anhörte, wurde auf Parades zur Avantgarde - und entfernte sich nochmals deutlich von sämtlichen Gesetzen der Popmusik. Mehr noch als "Tripper" war "Parades" Gesamtkunstwerk mit sinfonischem Ausmaß, und spätestens durch die gemeinsamen Auftritte der Band mit dem Nationalen Dänischen Kammerorchester (dokumentiert auf der DVD "Performing Parades") schwanden die letzten Grenzen zwischen U- und E-Musik, zwischen Klassik und Popkultur.

Nun folgt der dritte Geniestreich: "Magic chair". Schon wieder erscheint das Vorgänger-Album nur mehr als Studie zum eigentlichen Hauptwerk. Die auf dem neuen Album eingeschlagene Richtung allerdings wirkt zunächst völlig anders, fast rückschrittlich. Denn Efterklang haben tatsächlich ein Album mit zehn Stücken eingespielt, die man guten Gewissens als "Songs" bezeichnen kann, bei denen erstmals auch Gesang (Casper Clausen) und Texte eine zentrale Rolle einnehmen. Die vorher unübersehbare Schar von Begleitmusikern wurde auf 17 "reduziert" - und bleibt damit allerdings weiter deutlich über Minimalismus-Niveau. Und doch gelingt es der Band, "Magic chairs" als Kleinod von privatem, meist intimen Charakter zu gestalten. Von Thom Yorke über Múm bis Nick Cave bieten sich diverse Vergleiche an, doch Efterklang haben längst den Status des Unverwechselbaren, und ihre wirkliche Leistung besteht darin, die sinfonischen Ideen von "Tripper" und "Parades" auf "Magic chairs" hinüber gerettet zu haben.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis man sich in das verspielte Klavier-Intro von "Modern drift", mit dem das Album eröffnet wird, verliebt hat. Efterklang ihrerseits lieben erkennbar die Idee einer Ouvertüre - und als solche ist "Modern drift" perfekt, weil das Stück expositionsartig das komplette Setting des Albums vorwegnimmt, weil es eingängig ist und harmonisch, mächtig und groß, opulent und lustvoll.

Videolink: Efterklang "Modern drift" / youtube
 

Sämtliche Stücke des Albums haben eine andere Klangfärbung. Bei "Harmonics" ist der Titel Programm: Der Song liefert ein aufreizendes Wechselspiel aus Einzel- und Chorgesang, gut gelaunten Blech- und Holzbläsern und schwungvollen Geigen. Ob das rhythmische Klatschen in "Raincoats" prasselnden Dauerregen symbolisiert, bleibt der individuellen Betrachtung überlassen, ist aber eine stimulierendes Element, das weitere Percussions absolut überflüssig macht. Im Gegensatz dazu besteht das euphorische "Scandinavien love" über weite Strecken fast nur aus Gesang und Drums, bis sich zusätzliche Bläser und Streicher schließlich zur Hymne aufbäumen. "Full moon" wartet sogar mit einem erkennbaren Refrain auf, ist in der Hauptsache jedoch eine in jeder Hinsicht perfekte Mini-Oper, grandios arrangiert mit hämmernden Klavier, Kammermusik-Ensemble und chorischem Staccato.

Weil es der reduzierteste Song des Albums ist, wird die Vision zum Abschluss mit "Natural tune" am deutlichsten hörbar: Die nervös gezupften Geigen, Clausens Stimme, die im Duett mit einer Frau besonders dunkel wirkt, dann der euphorische Chorgesang, ungestüme Drums, die kurz einsetzen, um dann plötzlich wieder zu verschwinden - die ganze Erfahrung der Band wird hier in einem einzigen Song verdichtet.

Kritiker räumen Efterklang inzwischen einen Platz zwischen Radiohead und Coldplay ein. Das ist ehrenvoll, aber ebenso schwierig wie jeder weitere Vergleich, denn die Unterschiede sind größer als die Gemeinsamkeiten. Persönlich verbunden fühlt man sich wohl eher Indie-Folkbands wie Grizzly Bear, die auf dem Efterklang-eigenen Label ihre erste Europa-EP veröffentlichten. Wenn man partout auf einen Vergleich hinaus will, dann klingen Efterklang vielleicht ein wenig wie die Fleet Foxes - nur besser.

© Michael Frost, 14.02.2010

 


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