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Brücken über
Jahrhunderte

von Hans Happel


Als Schülerin hatte sie im englischen "Heinrich Schütz Choir" gesungen und Klavierunterricht beim Barock-Spezialisten Trevor Pinnock genommen. Mit 20 verließ Jenny Evans ihre englische Heimat und ging für ein Sprach- und Literaturstudium nach München. Dort begann Ende der 70-er Jahre ihre Karriere als Sängerin. Zunächst im Universitäts- und Motettenchor, wechselte sie bald das Genre und entschied sich für den Jazz.

1981 gründete sie ihre eigene Band, entwickelte ein Repertoire aus Swing und Pop und stieg zur Münchner Lokalgröße auf. Sie leitete ihren eigenen Jazz-Club ("Jennys Place"), sang in Musical-Inszenierungen, spielte Theater- und Fernsehrollen, betextete Songs und arbeitete als Synchronsprecherin.

Im Jahr 2004 - zu ihrem 25-jährigem Jubiläum als Musikerin - erschien ihr Album "Nuages", mit dem sie sich in die Spitzengruppe der deutschen Jazzsängerinnen hineinsang. Ein ungewöhnliches Album, ein bunter Strauss aus Lieblingsliedern der Sängerin, in dem das elisabethanische Kunstlied (John Dowland) neben einem George Harrison-Song steht und die Arie von Henry Purcell ("Remember me") neben Django Reinhardts "Nuages".

Hochgelobt von allen Seiten als eine "der besten Gesangsplatten des Jahres" (Fono Forum) hatte sich die Sängerin vom Mainstream verabschiedet, ohne sich jedoch in eine intellektuelle Nische zurückzuziehen. Mit ihrer originellen Auswahl, mit ihrem Brückenschlag zwischen den Genres und den Jahrhunderten, wirkte sie kein bisschen angestrengt oder gekünstelt.

Dieses Kunststück ist Jenny Evans jetzt ein zweites Mal gelungen: Und diesmal ist die Überraschung sogar noch größer, denn wer ein Album mit "christmas songs" vorlegt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nur auf die schnelle Mark zu schielen beziehungsweise auf den Weihnachtsmarkt zu spekulieren. Das ist natürlich keine Schande, auch Künstler müssen leben, aber eine solche Produktion kann schnell kitschig und schmalzig werden.

Jenny Evans ist ironisch und raffiniert genug, um für den ersten Augenblick genau mit diesem Eindruck zu spielen. Das Cover-Foto zeigt sie als himmlische Diva mit entzückendem Augenaufschlag, rot gefärbten Lippen und in weißem Pelz gekleidet. Dieses engelhafte Bildnis ist auch das einzige Zugeständnis an verkaufsförderlichen Weihnachtsglanz.

Die 11 Lieder sind weit entfernt von jedem dick aufgetragenen Stimmungspathos, sie leben - im Gegenteil - von ihrer ungewöhnlichen Schlichtheit, Nüchternheit und Präzision des Vortrags und von minimalistischen Arrangements ihres Begleittrios (Piano, Bass, drums), das sich so dezent wie nur möglich gibt. Aber gerade dadurch wird die Intimität und Intensität dieser - im wahrsten Sinne schönen Lieder - besonders hervorgehoben.

Wieder schlägt Jenny Evans mit ihrer Auswahl Brücken über Jahrhunderte. Von einem der ältesten englischen Weihnachtslieder ("The Coventry Carol" aus dem 16. Jahrhundert) zum "Christmas Song", den der 19-jährige Mel Torme 1944 geschrieben hatte, von der hessischen Volksweise "Maria durch ein Dornwald ging" zu Judy Garlands schlagerhafter Film-Ballade "Have Yourself A Merry Little Christmas" versammelt sie wiederum lauter Lieblingslieder - und wieder mischt sie alle Gattungen: Die leichteste Muse wird mit swingendem Kick gesungen (Judy Garland), das frühe Kirchenlied behält seinen tiefen Ernst auch in der Version als langsamer Jazz-Walzer, und die deutsch gesungenen Lieder - zum Abschluss "Still, still, still", ein Salzburger Wiegenlied - bekommen in der präzisen Diktion von Jenny Evans eine kühle Strenge, die ihrer ungewöhnlichen Schönheit nichts nimmt.

Jenny Evans Stimme ist rund und warm, klar und außerordentlich gelöst, auch wenn sie ein wenig Vibrato dazugibt, übertreibt sie nie, und diese fantastische Zurückhaltung überträgt sie auf ihre Mitspieler. Ob afrokubanische Rhythmen, Walzer oder Bossa Nova, alles wirkt sie hingehaucht, Walter Langs lyrisches Pianospiel verweigert jede Vordrängeln ebenso wie Thomas Stabenow am eleganten Bass und Rudi Martini am Schlagzeug.

Das souverän ausbalancierte Spiel dieses Trios ordnet sich ganz den Liedern unter, darin unterstützen die drei Jenny Evans, die ebenfalls nichts anderes tut: Genial ist ihr Einfall, den bis heute populären 50-er Jahre-Hit "The little drummer boy" mit dem Song "Nature Boy" zu kreuzen, dabei die Stimme zunächst nur von Trommeln begleiten zu lassen, bis der Bass dazu kommt.

Jenny Evans macht aus beiden Songs ein einzigartig stimmiges Kinderlied. Aber natürlich will sie nicht nur leise und intim sein, deshalb beendet sie ihre wundersame Weihnachtsplatte mit einer Spur Ironie: "Still, Still, Still" das deutsch gesungene Salzburger Lied löst sie in einen vorsichtigen Jodler auf. Jenny Evans "christmas songs" retten den weihnachtlichen Glanz der Musik, weil sie sie in ihrem Kern ernst nimmt und das mit aller Leichtigkeit.

"Jenny Evans: Christmas Songs"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, Dezember 2005


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