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Triumph über die Zeit


2008, so schien es, war ein kritisches Jahr für Marianne Faithfull. Im Frühjahr musste die britische Sängerin sämtliche Konzerte ihrer anstehenden Tournee absagen, aufgrund mentaler und körperlicher Erschöpfung, wie es auf ihrer Website hieß, und manch einer bangte bereits, ob sich hinter der Meldung nicht Bedrohlicheres verbarg.

Von all dem ist überhaupt nichts zu spüren, wenn die ersten Töne von "Easy come, easy go" erklingen, und vielleicht, wenn alles gut geht, behalten die recht, die ihre Konzertkarten in Erwartung eines Nachholtermins noch nicht zurückgegeben haben, auch wenn die Aufnahmen bereits Ende 2007 entstanden sind.

Das angesichts der Besorgnis erregenden Meldung fast überraschend veröffentlichte Doppel-Album - (kaufen Sie auf keinen Fall die einfache Ausgabe mit nur zehn Songs - auf der Doppel-CD sind es 18!) - ist so etwas wie das Alterswerk der bald 62-jährigen Ausnahmesängerin, die ihre Karriere in den 60ern in der Entourage der Rolling Stones begann, in den 70er eine eigene Karriere startete ("The ballad of Lucy Jordan", "Broken English") und seit Beginn dieses Jahrzehnts ein gewaltiges Comeback feiert, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Schauspielerin ("Irina Palm").

Damon Albarn, Etienne Daho, PJ Harvey und Nick Cave zählen zu den Autoren ihrer Songs auf "Kissin time" (2002) und "Before the poison" (2004), sie schrieben für Marianne Faithfull, DIE Faithfull, großartige Popsongs, und sie bedankte sich ihrerseits mit unverwechselbaren Interpretationen, rauchigem Timbre, gebrochener Stimme und der Aura einer in Würde gereiften Frau, die, wie es kürzlich ein Fan in einem Musikforum treffend formulierte, Alter und Reife gezielt einsetze, um sich vom Mainstream zu distanzieren. Dafür, so zeigt "Easy come, easy go", braucht die Faithfull inzwischen noch nicht einmal mehr neue Songs, "bloß ein Repertoire und ihre zerrüttete, mystische Stimme" (Zitat aus dem 'laut.de'-Forum).

Die achtzehn Stücke des Doppelalbums sind allesamt Klassiker der Jazz-, Pop- und Bluesgeschichte, angefangen von Dolly Partons "Down from Dover" bis zum Titelsong, den Bessie Smith unsterblich machte. Dazwischen wagt Marianne Faithfull sich u.a. an Rosemary Clooneys "Black coffee", aber auch an zeitgenössische Stücke wie "Dear God please help me" (Morrissey), "How many worlds" (Brian Eno) und "In Germany before the war" (Randy Newman).

Es ist, als ob all diese Stücke nur darauf gewartet hätten, von Marianne Faithfull im Jahr 2008 gesungen zu werden: Man wagt es kaum, von einem "Cover-Album" zu sprechen. Denn anders als die allermeisten ihrer Kollegen, deren Neuaufnahmen die zeitliche Distanz zum Original nie wirklich überwinden, gelingt Marianne Faithfull das Unmögliche: Sie triumphiert über die Zeit. Selbst das wohl größte Wagnis, nämlich Duke Ellingtons "Solitude", das vor ihr eigentlich nur von Ella Fitzgerald und - noch größer - Billie Holiday überzeugend gesungen wurde, bewältigt sie mit Bravour, mehr noch: Ihre gesamte Lebenserfahrung wird in diesem an Intimität kaum zu übertreffenden Moment spürbar. Kein Wunder, dass sich Songautoren darum reißen, für sie schreiben zu dürfen.

Doch auf "Easy come, easy go" geht Marianne Faithfull noch einen Schritt weiter: Da die Lieder nicht erst geschrieben werden mussten, holte sie ihre Lieblingsmusiker diesmal mit ins Studio, und so hören wir, jeweils erstaunlich dezent im Hintergrund, Chan Marshall ("Hold on Hold on"), Nick Cave ("The crane wife 3"), Rufus Wainwright (einmal mehr herausragend: sein verzweifelter Ausdruck in "Children of stone"), Teddy Thompson ("How many worlds"), Sean Lennon ("The Phoenix") und Jarvis Cocker ("Somewhere").

Selbst Keith Richards ließ sich nicht lange bitten. "I'll do it for you if you do it for me", habe er geantwortet, als sie ihn fragte, ob er Merle Haggards ergreifendes "Sing me back home" mit ihr aufnehmen würde, erzählt sie in der aufschlussreichen DVD-Dokumentation des Fotografen und Filmers Jean-Baptiste Mondino, die dem Doppel-Album beiliegt. Und dann ist da, neben all den exquisiten Begleitmusikern, angeführt von Gitarrist Marc Ribot, noch Antony Hegarty (Antony & The Johnsons), an dem im Moment offenbar überhaupt kein Weg mehr vorbeiführt: Zuletzt veredelte sein jungfräulicher Gesang die Alben von Rufus Wainwright, Lou Reed, Björk und Hercules & Love Affair. Einmal mehr zeigt sich, wie sehr seine glasklare, unberührte Stimme mit einem Duettpartner, dessen Timbre so ziemlich das Gegenteil seines eigenen Ausdrucks repräsentiert, harmoniert. "Ooh Baby Baby" (Smokey Robingson) ist neben "Solitude" vielleicht das Highlight auf "Easy come, easy go".

In einem Interview mit der ZEIT ließ Marianne Faithfull jüngst durchblicken, dass sie eine neue Tournee plane. Gestärkt durch die Aufnahmen und die Zusammenarbeit zu ihren Kollegen scheint sie kraftvoller denn je, und musikalisch hat sie ihren Zenith vielleicht jetzt erst erreicht - wobei sich das nur sagen lässt, weil für eine Steigerung die eigene Phantasie nicht reicht: "Easy come easy go" ist ein Triumph.

 

© Michael Frost, 16.11.2008


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