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Mehr als
ein Gespräch wert

von Hans Happel


"Das ist doch...!" sagt eine Freundin, als sie neulich bei mir diese Stimme hörte. Ich ahne, wen sie meint, denn ich dachte beim ersten Hören auch sofort, das ist doch......Aber mir war der Name ebenfalls entfallen. Also blätterte ich in meinen alten LPs und fand sie: Ja, diese Stimme klingt nach Joni Mitchell, nach jener warmen, hellen, zarten Sängerin, die in ihren Songs vom Konflikt zwischen schönem Traum und trister Realität erzählt.

Sie klingt nach einer Renaissance des 60-er Jahre-Gefühls, nach jener Mischung aus Folk, Blues, Protest- und lyrischen Liedern, die so einfach und gleichzeitig kräftig sind, dass sie sich ins Gedächtnis schleichen und zum Mitsummen reizen.

Nadia Maria Fischer heißt die Sängerin, die sich jetzt mit ihrem Debüt-Album "Talk" vorstellt. Sie ist hörbar ein Kind der 60-er Jahre. Das bewirken nicht nur der Joni-Mitchell-Ton, der Folk-Charakter ihrer Songs und die entsprechende Gitarrenbegleitung: es sind die Eigenkompositionen dieser Sängerin, die sie als hochbegabte Songwriterin ausweisen mit einem Hang zu jenen Zeiten, als die Lieder noch mit Aufbruch und Veränderung einhergingen.

Nadia Maria Fischers Debüt erscheint in der Reihe "Next Generation", einer Gemeinschaftsproduktion der Zeitschrift JAZZthing und des Kölner Labels Double Moon Records, die jungen Musikern helfen will, "ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu gelangen". Das Booklet enthält - dankenswert - sämtliche Texte der 11 Titel, darunter fünf Eigenkompositionen.

Nadia Maria Fischer ist jedoch keineswegs eine Epigonin, aber sie und ihre beiden Begleiter Norbert Scholly (Gitarre) und Dietmar Fuhr (Bass) suchen auf anderen Pfaden nach einem neuen Weg als viele ihrer gleichaltrigen Zeitgenossen. Diese Sängerin verkörpert weder den vollen weiblichen Wohlklang einer Rebecca Bakken, noch strahlt sie jene erotische Aura aus, wie sie viele junge Kolleginnen kultivieren (am gekonntesten Solveig Slettahjell), auch beherrscht sie nicht jene Frasierungstechniken des klassischen Jazz-Gesangs, die Ulita Knaus zu einer der besten deutschsprachigen Vokalistinnen machen.

Ihre Stimme hat etwas geradezu Fragiles, sie changiert zwischen gebrochenen und dunkleren Tönen, die zum rauen Blues passen, und jenem warmen Ton des Folksongs, mit einem Wort: sie klingt unfertig, aber gerade dadurch authentisch.

Es wird kein Zufall sein, dass Nadia Maria Fischer ihr Album mit dem Steve-Winwood-Titel "Can´t find my way home" eröffnet, dessen Blues-Note sie mit ihrer passenden Stimme Wort für Wort beglaubigt. Das Titelstück "Talk" - eine Eigenkomposition - ist eine Referenz an klassische Blues-Nummern, eine Hommage, die erstaunlicherweise gar nicht sentimental oder unecht klingt. Man glaubt dieser Sängerin die eigenen Worte "I´m feeling so sad/I´m feeling ignored/Let´s face the facts/you don´t want me no more…". Man glaubt ihr vor allem den Schmerz.

Dabei spielen ihre beiden Sidemen eine überaus wichtige Rolle: Der Gitarrist Norbert Scholly ist mehr als ein souveräner Begleiter. Mit sparsamen, aber überzeugenden Soli verstärkt er jenes Folk-Feeling, das Bassmann Dietmar Fuhr diskret unterstützt und zugleich in Richtung Jazz ausbalanciert.

Nadia Maria Fischers Thema ist der Konflikt zwischen Sehnsucht nach Nähe und Angst vor Nähe, dem sie sich in mehreren Songs annähert, besonders eindringlich in "Sorry", dem schönsten unter ihren eigenen Titeln, der direkt ins Herz zielt und dennoch jenseits aller Kitschzonen liegt. ("I promised to love and never leave you alone/ now you are all alone, and so am I, and I cry…")

Im Bonus-Track singt sie diesen Song noch einmal live und begleitet sich selber am Klavier. Auch hier bleibt die Melancholie spröde. Unverschämt mutig aber ist ihre Cover-Version des Abbey-Lincoln-Songs "Throw it away". Das Lied der schwarzen Jazzsängerin und Bürgerrechtsaktivistin hatte zuletzt Cassandra Wilson aufgenommen (auf dem Album "glamoured"), und es stand bei ihr ebenso programmatisch wie in Nadia Maria Fischers "Talk": "live your life each and every day/ And keep your hands wide open".

So versteht sich diese junge Sängerin: Sie verschenkt sich in ihrer Musik und sie lässt in ihren Liedern etwas anklingen, das vergessen zu sein schien, aber offensichtlich von einer jüngeren Generation wieder ernst genommen wird: Eine Aufbruchsstimmung, ein Tonfall, der ohne ein einziges explizit politisches Wort dennoch etwas Allgemeines in sich trägt, einen Moment von Rebellion, von Graswurzel-Stimmung. Nadia Maria Fischers "Talk" ist mehr als ein Gespräch wert.

"Nadia Maria Fischer: Talk"
ist ein Beitrag von Hans Happel
© Hans Happel, Oktober 2005


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