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Wärmestrom

 

Mit 14 Jahren hört er die Musik von John Coltrane im Radio. Tief berührt besorgt er sich daraufhin ein Saxophonlehrbuch, noch bevor er ein Instrument besitzt. So die Fama um den norwegischen Sopran- und Tenorsaxophonisten Jan Garbarek, der seit Ende der 60-er Jahre zu den Wegbereitern und Virtuosen einer europäischen Note und Farbe des Jazz gehört, die sich von den amerikanischen Wurzeln entfernt hat.

Fast ebenso lange gibt es inzwischen das Münchner Jazz-Label ECM („Edition of Contemporary Music“), das in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiern konnte und fast von Anfang an mit der Musik Garbareks verbunden ist. So ist das live aufgenommene und kürzlich veröffentlichte Doppelalbum der Jan Gabarek Group nicht nur ein Geburtstagsgeschenk des Musikers an sein Label, sondern mindestens ebenso ein Geschenk des rührigen Münchner Produzenten und Visionärs Manfred Eicher an sich selber.

2007 zum Label des Jahres gekürt – sowohl in Klassik wie in Jazz -, zeigt Eicher mit „Dresden“, dem ersten Live-Album, das Garbarek unter eigenem Namen veröffentlicht, worauf es ihm ankommt: Die im Oktober 2007 im Alten Schlachthof in Dresden aufgenommenen 16 Stücke, verteilt auf 2 CDs, enthalten jene für ECM typische Melange aus Melancholie und Langsamkeit, aus kammermusikalischer Intimität und Spiritualität, aus höchster Virtuosität und liedhafter Schlichtheit.

Jan Garbarek ist zusammen mit seinem langjährigen Piano-Partner Rainer Brüninghaus zu hören, der hier mehrfach Gelegenheit zu solistischen Intermezzi erhält und in seiner suggestiv Eigenkomposition „Transformations“ die Herkunft aus klassischer Schulung und Minimal Music nicht verleugnet. An den Drums sitzt Manu Katche, der die schweren treibenden Beats, das Donnergrollen des RocknRollers, ebenso beherrscht wie die leichten, federnden Schläge des Jazzers und in vielen dieser Aufnahmen zum Antreiber und direkten Dialogpartner des Saxophonisten wird.

Juri Daniel, ein in Portugal lebender Brasilianer, ersetzt den wegen Krankheit ausgefallenen Bassisten Eberhard Weber, der seit drei Jahrzehnten unverwechselbarer Klangbaustein des Ensembles war.

Garbarek greift ins Repertoire der letzten Jahrzehnte, er blüht auf in weit geschwungenen Kantilenen, in verschwenderisch melodischen Riesenbögen, die er mit jenem für ihn typischen, glasklaren Ton in großer Ruhe und Gelassenheit entfaltet. Dabei lässt die Spannung während der minutenlangen Soloimprovisationen, in denen Garbarek sein Instrument zum Singen und zum Weinen bringt, niemals nach. Viele seiner Stücke – darunter mehrere aus dem 16 Jahre alten Album „Twelve Moons“ – leben von volksliedhaft einfachen ohrwürmigen Melodien. Einsamer Höhepunkt: Das großartige Solo in „Twelve Moons“ und das unmittelbar anschließende Arrangement des „Rondo Amoroso“ von Harald Saeverud (1897 – 1992), neben Griek einer der produktivsten norwegischen Komponisten.

Garbarek beschwört hier die Nähe zu den Traditionen seiner Heimat. Dieses „Rondo Amoroso“ ist eine Liebeserklärung an eine Musik, die aus der Stille und aus dem Schmerz geboren ist. Der Bassist Juri Daniel darf am Ende über dem Melodiebogen ein diskretes Solo hinwerfen, das zu den kleinen unvergesslichen Seitenwegen dieses schönen Albums gehört.

„Voy Cantando“ – die heftig herbeigeklatschte Zugabe am Konzert-Ende – bündelt noch einmal alle Qualitäten des um Jan Garbarek versammelten Ensembles und der von ihm verkörperten Musik: Die 20 Jahre alte Zugnummer ist eine Hymne ans Leben, in der Kraft und Zärtlichkeit zugleich jenen Wärmestrom erzeugen, der nicht nur zum Markenzeichen Jan Garbareks geworden ist, sondern auch zum Qualitätssiegel des Geburtstagkindes ECM, das längst kein Kind mehr ist.

© Hans Happel, 10.01.2010


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