Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Unerschöpflich


Als "bisweilen unglaublich ausgereift, gelassen, fast abgeklärt" befanden wir an dieser Stelle vor ziemlich genau einem Jahr "Worrisome heart" das Debüt der damals erst 22-jährigen Melody Gardot. Nun ist sie also wohl 23, hat ein weiteres Album veröffentlicht, und fast möchte man ihre Entwicklung beängstigend nennen - wenn sie es nämlich gleich zu Albumbeginn mit einem ganzen Streichorchester aufzunehmen scheint, das nach Patina, 50er-Jahre-High Society- Eleganz und dem elfenbeinfarbenen Teint von Grace Kelly klingt.

Es ist ein mutiger Auftakt, denn Melody Gardot setzt die im Opener "Baby I'm a fool" angedeutete Musealisierung im Verlaufe des Albums glücklicherweise nicht fort.

Videolink: Melody Gardot "Baby I'm a fool" / youtube
 

Schon in "If the stars were mine" nimmt sie eine andere Richtung - und die führt direkt zur Bossanova. Nur Akustikgitarre und Percussions untermalen ihre kristallklare Stimme - die schon im folgenden Song ("Who will comfort me") erneut eine Wandlung erfährt: Eben noch die Leichtigkeit brasilianischen Lebensgefühls verbreitend, wechselt sie nun zum Blues, unterstützt von Rhythmus-Sektion, Hammondorgel und Jazz-Trompete.

Mit diesem Instrumentarium setzt Melody Gardot das Album fort, unterstützt von Orchester-Arrangeur Vince Mendoza, einem der Großen dieses Genres, der stets im Grenzbereich zwischen Jazz, Musical und Pop wirkt - beispielsweise durch seine Arrangements für Robbie Williams oder die Zusammenarbeit mit Björk für den Soundtrack zu "Dancer in the Dark".

Auf "My one and only thrill" darf Mendoza sich ganz in klassischen Harmonien ergehen, und trotz großer Orchesterbesetzung widersteht er der Versuchung allzu großer Präsenz. Selbst in den Momenten größter Versuchung ("Lover undercover") hält er sich und das Orchester angenehm zurück und bewahrt dem Album dadurch seinen zeitlos gültigen, kitsch- und pathosfreien Klang.

Melody Gardot ist für diese Art Musik, die auf Lebenserfahrung, erlebtem Leiden und Leidenschaft aufbaut, eigentlich viel zu jung. Doch nicht genug damit, dass ihr Jazz und Blues spürbar in Leib und Seele übergangen sind: Sie ist auch Komponistin und Texterin fast des kompletten Albums, zudem spielt sie Klavier und Gitarre bei sämtlichen Songs.

Und abschließend präsentiert sie dann den einzigen nicht von ihr geschriebenen Titel: "Over the rainbow", den Klassiker des "Wizard of Oz". Sie entführt die weltberühmte Melodie in die tropische Hitze Brasiliens und unterlegt das Lied mit einem überraschend schnellen Samba-Rhythmus - so hat man diesen Evergreen noch nie gehört.

Das Potential von Melody Gardot scheint, so der Gesamteindruck nach diesem zweiten Geniestreich der Sängerin, Instrumentalistin, Komponistin und Texterin aus Philadelphia, unerschöpflich. Wo andere am gefürchteten, weil mit hohen Erwartungen behafteten, zweiten Album verzweifeln, da läuft sie zur Höchstform auf - siehe oben: "unglaublich ausgereift, gelassen, fast abgeklärt ..."

 

© Michael Frost, 02.05.2009

 


[Archiv] [Up]