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Befreit von der
Disco-Kugel


2008 wird ein Fest für die Fans einstiger Triphop-Bands. Das neue Morcheeba-Album liegt bereits vor, Alpha stehen in den Startlöchern, Massive Attack sind im Studio, und die Wartezeit auf das erste Portishead-Album seit einem Jahrzehnt verkürzt nun die nicht minder herbei gesehnte Produktion des Duos Goldfrapp.

Doch was genau die Bands im Einzelnen so fabrizieren, ist völlig unberechenbar. Gerade Goldfrapp, deren Debüt "Felt Mountain" abgefeiert wurde wie nur wenige Platten ihres Genres, überraschten später mit einer radikalen Abkehr vom sphärisch-düster-elektronischen Klangspiel und wandten sich grell-buntem Synthiepop zu. Die Single "Ooh la la", dank ihrer Heavy-Rotation als Erkennungssong der aktuellen Saturn-Werbekampagne nahezu allgegenwärtig, ist stilbildend für den kühlen, aber donnernd lauten Eletropop, mit dem Goldfrapp 2006 als Vorband von Depeche Mode sogar die Fußball-Arenen rockten.

Umso überraschender kommt nun die erneute Wende. Goldfrapps "Seventh tree" erscheint als eine Art Essenz der vorigen Alben, es mäandert zwischen druckvollem Powerpop ("Happiness", "Caravan girl") und elektronisch verfeinert-verfremdeten Balladen ("Road to somewhere"). Dazwischen liegen Momente von intensiver, sphärischer Schönheit, die wie Zitate aus "Felt mountain" klingen ("Clowns", "Cologne Cerrone Houdini"), coole Synthiepop-Nummern, allerlei schräges Geschrammel im Lo-Fi-Gewand ("Eat yourself") und dramaturgisch geschickt inszenierte Popsymphonien ("Little bird", "Some people").

Alison Goldfrapp war immer schon eine Meisterin der Selbstironie. Auf "Felt mountain" posierte sie in einer Mischung aus Stewardess und Domina, später gab sie die Disco-Queen. Auf "Seventh Tree" ist sie alles zur gleichen Zeit, wie das Coverfoto mit seinem bizarren Outfit zwischen Napoleon und Harlekin suggieren will, und gemeinsam mit ihrem kongenialen Partner Will Gregory treibt sie das Album in eine psychedelische Richtung, das ihre bisherige Arbeit betont spielerisch zitiert. Auch die ausladenden Partien der Streicher, die "Felt mountain" prägten, sind wieder zu hören, ergänzt beispielsweise um eine kaum als solche zu erkennende Harfe, Keyboards und ein "Optigon", ein Spielzeuginstrument. Rhythmus und Tempo folgen bisweilen "Black Cherry" und "Supernatural" - da dreht sie sich dann doch nochmal, die Discokugel. Nur auf die Gitarre muss weiter verzichtet werden, obwohl Goldfrapp mit "Seventh Tree" eigentlich eine Atmosphäre schaffen wollten, bei der "jemand am Lagerfeuer auf der Gitarre schrammelt". "Das Problem war", sagt sie jedoch Achsel zuckend, "das keiner von uns beiden Gitarre spielt".

So wird Goldfrapp wohl auf absehbare Zeit keine Gitarrenband werden. Zum Glück. Erfreulicherweise haben sie sich auch vom Dasein einer Synthie-Dance-Pop-Band befreit, die Fesseln der Disco-Kugel gelöst. Jetzt jonglieren sie mit ihr und erweitern ihre Ausdrucksmöglichkeiten in einer großartigen Symbiose aus psychedelischen Electrobeats, Triphop und Alternative Pop.

© Michael Frost, 20.02.2008

 


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