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Liebeslied und
Endzeitstimmung


Es ist das Album-Ereignis 2002: Grönemeyers Rückkehr. Und alles spricht dafür, dass er auch das Konzertereignis des Jahres 2003 wird: Die geplanten Auftritte erleben einen nie dagewesenen Zulauf, ständig wurden weitere Termine ergänzt. Als ob die Leute sich persönlich davon überzeugen wollen, dass er wirklich wieder da ist: "Unser Herbert".

"Mensch", die vorab ausgekoppelte Single zum gleichnamigen Album wirkt wie ein Befreiungsschlag. Eine vorsichtige Hymne an das, was einen Menschen als solchen erkennbar macht, der erste Gehversuch eines Sängers, den das Schicksal mehr als nur kurzzeitig aus der Bahn geworfen hatte - und zweifellos eines seiner schönsten Lieder überhaupt.

Grönemeyer scheint erleichtert über die geglückte Rückkehr zu sein. Kaum eine Talkshow ließ er aus, um sein Album vorzustellen. Die Betroffenheit über den Verlust seiner Frau und seines Bruders ist ihm weiterhin anzumerken, er spricht darüber ganz offen, und sie zieht sich auch durch "Mensch" wie ein roter Faden. "Du fehlst" - scheinbar ohne Zusammenhang in den Text gereimt, gleicht einer Botschaft, und richtig intim wird es dann in "Der Weg", fast so sehr, dass man gar nicht mehr hinhören möchte - man fühlt sich, als belauschte man heimlich einen Nachbarn, einen Angehörigen, einen guten Freund, im Moment der größten Verletztheit.

Grönemeyer selbst versucht die allzu große Privatheit zu durchbrechen, indem er den "Weg" ausgerechnet durch die druckvollsten Rock-Titel des Albums einrahmt: "Neuland" und "Viertel vor". Während "Viertel vor" nukleare Endzeitstimmung beschwört, ist "Neuland" ein realpolitischer Appell an das vereinigte Deutschland, sich nunmehr der Zukunft zuzuwenden ("Komm in die Gänge, start den Motor im Kopf"). Das Pathos wirkt ein wenig holprig, trotz manch gelungener Textzeile, verzeihlich allein deshalb, weil Grönemeyers Leistung als einziger gesamtdeutscher Sänger nicht in Abrede gestellt werden kann - doch zu was will uns der Autor hier eigentlich aufrufen ?

Doch auch manche Fragwürdigkeit passt zu dem Eindruck, dass Grönemeyer sich schrittweise wieder an die Welt herantastet, sowohl inhaltlich als auch musikalisch seine Möglichkeiten auslotet. Hier die leise Ballade, dort krachender Rock, dazwischen ein wenig Drums & Bass, dazu die wiederum phantastischen Streicher-Arrangements von Nick Ingman (grandios: "Unbewohnt", "Zum Meer"), der bereits bei Grönemeyers 2000er EXPO-Konzert ("Stand der Dinge") meisterhafte Arbeit geleistet hatte.

Und auch dies ist Grönemeyer 2002: "Mensch" lässt sich keineswegs auf die Verarbeitung von Trauer reduzieren. Es ist ein teils kraftvolles, teils natürlich auch zerbrechliches Album, dennoch selbstbewusst, voller gelungener Melodien und überraschender Arrangements - und überzeugt deshalb vor allem musikalisch.

Diese Unterschiedlichkeit der Songs und die thematische Vielfalt, schon immer seine besondere Stärke, bestimmt auch den Gesamteindruck von "Mensch". Ist es sein stärkstes Album ? Vielleicht. - Sein wichtigstes ? Mit Sicherheit.

Michael Frost, 18. Januar 2003

 


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