"Aufrichtigkeit
ist für mich das Wichtigste. Doch das ist nicht einfach
in einem Business, in dem es so viel Lüge gibt."
Joni Mitchell, mit diesen Worten im Rock-Lexikon zitiert,
hat sich längst aus dem Betrieb zurückgezogen. Ende
der 60-er Jahre war die kanadische Singer-/ Songwriterin schlagartig
berühmt geworden mit ihrem zarten Popsong "Both
sides now", der mindestens 50mal nachgespielt wurde,
darunter von Judy Collins, Frank Sinatra und Bing Crosby.
Joni
Mitchells Mischung aus Folk inspirierten, romantischen Melodiefragmenten
und komplexen Wortrhythmen, die Wärme des unverkennbar
eigenen Tonfalls und die Offenheit, mit der sie ihre häufig
sehr privaten Geschichten erzählte - das alles war so
eng mit den 60-er Jahren und mit der besonderen Aura des Aufbruchs
verbunden, dass kaum vorstellbar ist, wie dieser Mitchell-Klang
für die Gegenwart aufgehoben und aufbereitet werden könnte.
"River
- The Joni Letters" heißt eine CD des Jazz-Pianisten
Herbie Hancock, der das Wagnis schon deshalb eingehen kann,
weil er - Jahrgang 1940 - ein Zeitgenosse der drei Jahre jüngeren
Sängerin ist und genau weiß, was er mit dieser
Begegnung sucht. Er
übersetzt die Musik der Sängerin in ein anderes
Idiom, und dabei nimmt er ihr nichts von ihrer starken Ausstrahlung.
Im Gegenteil: Er erfindet sie neu.
Die
"Joni-Letters" sind Briefe aus einer anderen Zeit.
Hancock und sein Ensemble, - darunter der Saxophonist Wayne
Shorter, Partner aus dem legendären Miles-Davis-Quintett
der 60-er Jahre -, wollen die Fremdheit jener Jahre, von denen
die zwei Dutzend ausgewählten Songs sprechen, gar nicht
verstecken.
In
ihrer Instrumental-Version von "Both sides now"
verwandeln sie die einfachen melodischen Gesangslinien in
ein komplexes Gebilde, das dennoch transparent und zart bleibt,
und Wayne Shorter holt ohne jede Anstrengung und ohne einen
Funken von Sentimentalität jene melancholische Verschattung
aus diesem Lied heraus, der zum Alphabet der Joni-Mitchell-Sprache
gehört.
Aber
Hancock ist kein Purist, seine Übersetzungen und Verwandlungen
verzichten nicht auf die menschliche Stimme. Wenn Joni Mitchell
höchstpersönlich "The Tea Leaf Prophecy"
vorstellt, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, aber
auch diejenigen, die ihre Stücke nachsingen, bewegen
sich wie auf einer Zeitreise zwischen damals und heute.
Norah
Jones macht aus dem Eingangslied "Court und Spark"
einen melancholischen Song, der gar nichts Museales an sich
hat. Tina Turner - angenehm zurückhaltend - entdeckt
den groovenden Soul in "Edith and the Kingpin",
Leonard Cohen den zweideutig dunklen Sprechgesang in "The
Jungle Line". Dazwischen "Solitudine" und "Nefertiti",
die Solitudine dieser großartigen Instrumentalisten
und die Erinnerung an das Jahr 1968, als Joni Mitchell ihre
erste Platte herausbrachte und der Pianist Herbie Hancock
im Miles Davis Quintett mit "Nefertiti" die Improvisation
im Jazz weitertrieb, Form und Auflösung der Form in einem.
"River"
heißt der Titelsong, von Corinne Bailey Rae angenehm
spröde und dennoch warm gesungen. "River" zeigt,
dass alles im Fluss ist, dass diese Musik von damals bis heute
durch die Zeiten hindurchfließt, sobald sich jemand
findet, der die Songs aus ihrer alten Form befreit, der sie
erhält, indem er sie verflüssigt und musikalisch
in Bewegung setzt.
Mit
"River: The Joni Letters" gelingt Herbie Hancock
ein kleines Wunder, eine ungewöhnliche Mischung aus Vergangenheit
und Gegenwart, eine Fusion aus Pop und Jazz, die nichts Künstliches
an sich hat, nichts Verlogenes, weshalb es als Gütesiegel
gelten kann, dass Joni Mitchell diese Hommage mit ihrer eigenen
Stimme beglaubigt.
"The
Joni Letters" - das sind Liebesbriefe an eine andere
und aus einer anderen Zeit, die zwar vorbei sein mag, die
aber Spuren hinterlassen hat: Spuren, die Herbie Hancock und
seine Gäste ausloten, sehr konzentriert, ruhig, gelassen,
lakonisch, humorvoll und altersweise.
"Herbie
Hancock: The Joni Letters"
ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
© Hans Happel, 07.10.2007