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Wunschzettel erfüllt


Man muss schon Herbie Hancock heißen, um sich einen Traum dieser Dimension erfüllen zu können. Mit Geld allein käme man nicht weit. Doch Herbie Hancock ist eine lebende Legende des Jazz, und als solche kann er davon ausgehen, dass ihm erfüllt wird, was er auf seinen Wunschzettel schreibt: Namen zum Beispiel. Namen berühmter Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Genres, mit denen er unbedingt einmal zusammen arbeiten wollte. Sein Traum galt dem Ausloten von Möglichkeiten ("Possibilities"); er wollte Menschen unterschiedlicher künstlerischer Herkunft zusammenzubringen um daraus neue Perspektiven zu entwickeln - für sich, für seine Wunschpartner, selbstredend für das Publikum.

Auf Hancocks Wunschzettel fanden sich alsbald die Namen virtuoser Instrumentalisten und erstklassiger Interpreten, und Stück für Stück entwickelte sich daraus ein exquisites Stück Musikgeschichte, das die Möglichkeiten von Jazz, Pop und Rock auslotet und dabei - um im tagesaktuellen Jargon zu bleiben - weit über Sondierungsgespräche hinaus zu künstlerisch überzeugenden Koalitionen kommt.

Hancock selbst teilt sich die Arbeit an den Tasten mit Michael Bearden, Chester Thompson und Greg Phillinganes. Insgesamt acht Gitarristen sind an "Possibilities" beteiligt, darunter Carlos Santana, Trey Anastasio, Raul Midón und Paul Simon. Midón ist zum Schluss des Albums auch als Interpret von Stevie Wonders "I just called to say I love you" zu hören; Wonder selbst ließ es sich nicht nehmen, dafür nochmals zur Mundharmonika zu greifen.

Es ist fast unmöglich, aus diesen zehn wirklichen Highlights einzelne Tracks gesondert herauszugreifen, jedes einzelne Stück ist wahrhaft große Kunst. Das Zusammenspiel von Carlos Santanas unverkennbarer Gitarre mit der ebenso unverkennbaren Stimme von Angelique Kidjo ("Safiatou") führt zu einer elektrisierenden Symbiose aus Latinrock, afrikanischen Gesangsharmonien und relaxter Improvisationskunst (Hancock am Piano).

Sting wagt sich mit "Sister Moon" endlich einmal richtig weit in die Gefilde von Jazz und Blues vor, und auch die Jung-Stars Joss Stone und Jonny Lang betonen in ihrer Version des U2-Klassikers "When love comes to town" das Sound-Muster aus Blues und Soul. Unterstützt von Langs Slidegitarre und Hancocks Klavierspiel legen sie auch stimmlich ein temperamentvolles Duett der Extraklasse ab - was wiederum auch für Damien Rice und Lisa Hannigan ("Don't explain") gilt.

Und auch Annie Lennox, die im Sommer zu den wenigen herausragenden Acts beim Live8-Konzert zählte, liefert erneut einen Beweis ihres großartigen stimmlichen Potenzials ab, das über die Jahre eher noch gewachsen zu sein scheint. Begleitet fast ausschließlich von Hancocks Piano, moduliert sie das dunkle, warme Timbre ihrer Stimme in einer Spannbreite von zerbrechlichem Flüstern bis zu kraftvollem Soul. Warum Annie Lennox nicht längst wenigstens ein Album mit Jazz- und Soulsongs in ihrem Repertoire hat, grenzt ebenso an Verschwendung wie die kurzlebigen Popsongs, mit denen Christina Aguilera berühmt wurde. "A song for you" dürfte für alle, die sie bislang als Produkt der Popindustrie abtaten, eine Offenbarung sein.

Dass "Possibilities" nur zehn Songs enthält, kann nur als gezielte Verknappung des Angebots betrachtet werden. Umso höher wird nun also die Nachfrage. Doch wer weiß: Vielleicht schreibt Herbie Hancock bereits einen neuen Wunschzettel.

© Michael Frost, 29.09.2005

Tracklist

01 Stitched Up - feat. John Mayer
02 Safiatou - feat. Angelique Kidjo & Santana
03 A song for you - feat. Christina Aguilera
04 I do it for you love - feat. Paul Simon
05 Hush Hush Hush - feat. Annie Lennox
06 Sister moon - feat. Sting
07 When love comes to town - feat. Joss Stone & Jonny Lang
08 Don't explain - feat. Damien Rice & Lisa Hannigan
09. Gelo no montana - feat. Trey Anastasio
10. I just called to say I love you - feat. Raul Midón


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