P.J. 
          Harvey gehört zu der Gruppe von Frauen, die seit Mitte der 90er Jahre 
          den Rock ein wenig weiblicher werden ließen. Wie auch ihre nordamerikanischen 
          Kolleginnen Alanis Morissette, Tori Amos oder Sheryl Crow hat die Engländerin 
          dabei ihren ganz individuellen Stil entwickelt und gepflegt, der allerdings 
          stets ein wenig härter, dunkler und rockiger war.  
          Was 
            sie dagegen wiederum mit den anderen beiden Frauen vereint, ist die 
            Ehrlichkeit ihrer Musik, die nicht nach Moden und Strömungen schielt, 
            sondern geradlinig eigene Ziele definiert und verfolgt. Hierin liegt 
            vermutlich der Hauptgrund für den Erfolg, der P.J. Harvey auch - und 
            vor allem - bei ihrem aktuellen Album "Stories from the city, stories 
            from the sea" treu geblieben ist. 
          Das 
            Album ist eine Art Porträt modernen Großstadtlebens. Millionen Nachbarn 
            in New York können das Gefühl der Einsamkeit nicht verdrängen, und 
            auch die Liebeslieder klingen bei P.J. Harvey nicht wirklich romantisch, 
            sondern immer ein wenig morbid. Ihre introvertierten Balladen hinterlassen 
            ebenso wie die rockigen Titel vor allem ein Gefühl der Verlorenheit, 
            so dass es kein Wunder ist, dass sie vor allem Kollegen wie Nick Cave 
            oder Thom Yorke (Radiohead) schätzt, deren Musik ähnliche Leidenschaften 
            ausdrückt. 
          Mit 
            Thom Yorke singt "Polly" Harvey auf "Stories ..." insgesamt drei Stücke, 
            darunter ein unter die Haut gehendes düsteres Duett mit dem verwirrenden 
            Titel "Beautiful feeling" und ein wahrhaft post-modernes Liebeslied: 
            "This mess we're in", das auch gut auf Radioheads "Kid A" hätte 
            veröffentlicht werden können. 
          "Stories 
            from the city, stories from the sea" ist - wie gewohnt, erhofft 
            und erwartet - keine leichte Kost, sondern ein Album, an dem man sich 
            abarbeiten muss, um schließlich trotzdem zur Kenntnis zu nehmen, 
            dass sich die Gedanken- und Gefühlswelt von P.J. Harvey nicht 
            vollständig erschließen lässt - das Gefühl der 
            Verlorenheit wird bleiben. 
          © 
            Michael Frost, 19.05.2001