Schweden
schreiben Krimis wie Italiener Pastasaucen erfinden und zierliche
Französinnen mit Flüsterton Chansons singen. Wohl dem Land,
das seine Nische im Konzert der Völker gefunden hat und ausbaut
- sei es als Klischee, oder als reales Phänomen.
Für
Letzteres steht Island. Die Zahl internationaler Plattenveröffentlichungen
von Musikern der Inselrepublik am Rande der Arktis steht längst
in keinem Verhältnis mehr zur lächerlich geringen Einwohnerzahl.
Fast jeder Isländer, so scheint es manchmal, nutzt inzwischen
die langen Polarnächte für die Aufnahme bizarrer Klangphantasien,
die kurz darauf den internationalen Musikmarkt euphorisieren. Die
Beispiele sind hinlänglich bekannt.
Im
August drängte also wieder ein neuer Musiker in die Plattenläden.
Das Cover ziert eine lecker-bunte Eistüte, eine niedliche Zeichnung
wie von Kinderhand, und auf jeder Eiskugel steht ein Teil des Künstlernamens
wie aus einem Astrid Lindgren-Kinderroman: Benni Hemm Hemm.
Und
so ist auch seine Musik wie ein Spaziergang durch das sommerliche
Bullerbü. Alles ist so echt, dass man es kaum glauben mag: die
überspannt feierliche Ouvertüre "Beginning End",
die lustigen isländischen Zungenbrecher-Vocals in "Beygia
beygia", oder die absurd-banalen Texte von "I can love you
in a wheelchair, baby", "sweaty in the sunshine" und
"fight" - allesamt auch nicht verständlicher als die
Songs, die er beherzt auf Isländisch anstimmt.
Doch
damit nicht genug, denn Benni Hemm Hemm hat seinem gemischten Eis
noch ein Sahnehäubchen verpasst, das seinen getragen wogenden
Songs bereits das waghalsige Etikett "Orchesterfolk" (Spex)
einbrachte. Denn bevor es allzu leise, intim oder bloß langweilig
wird, lässt er eine komplette Brassband mit Trompete, Posaune
und Flügelhorn auffahren, und schon wähnt man sich auf einem
verrückten Kurkonzert, bei dem Rockband und Bläser in ungeahnter
Eintracht miteinander musizieren.
Die Bläser sind von ihrer Aufgabe jedenfalls so begeistert, dass
sie als Marschkapelle durch das gesamte Album scheppern und einen
Heidenlärm überall dort veranstalten, wo man sie gerade
am wenigsten erwartet hätte, angefeuert von Drums, E-Gitarren
und groteskem Männerchor.
Die
Isländer mögen diesen Unsinn, und das ist so sympathisch,
dass man ihnen dafür fast den Verstoß gegen das Internationale
Walfangabkomme durchgehen lassen möchte. Und Benni Hemm Hemm
mögen die Isländer so gern, dass sie sein merkwürdiges
Album als beste isländische CD-Veröffentlichung des Jahres
2005 bestimmten und gleich noch den Preis als Newcomer des Jahres
hinterher schickten. Es ist wirklich etwas Besonderes, dieses eigenwillige
Volk im Nordatlantik, und es hat seine Nische gefunden.
Benni
Hemm Hemm freut sich wie Bolle über den Erfolg, so sehr, dass
sein Album am Ende gleich wieder von vorn anfängt, bei "Beginning
End".
Der
Instrumentaltitel könnte auch Bullerbüs Nationalhymne sein;
beim Einsatz der Bläser möchte man fast aufstehen. Ratlos
legt man schließlich den Kopfhörer beiseite. Kopfschüttelnd,
aber mit einem breiten Lächeln, denn das Album ist ein Riesenspaß.
©
Michael Frost, 09.11.2006