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In voller Blüte


Im Frühling kann man der Natur beim Wachsen zusehen. Aus zarten Knospen werden bunte Blüten, das Grün der Blätter scheint zu leuchten, bis es im Sommer seinen satten, kräftigen Farbton erreicht. In diesen Lauf der Natur fügt sich auch Jolie Holland ein, und es macht ungeheuren Spaß, ihrer Entwicklung beizuwohnen.

Mit ihrem neuen, dritten Album ist Jolie Holland hörbar in das Stadium der Blütezeit übergegangen. Klangen ihre vorigen Alben, besonders das Debüt "Catalpa", noch suchend und tastend, so scheint sie nunmehr ihren optimalen Standort gefunden zu haben, und der ist vermutlich auf einer überdachten Terrasse eines Holzhauses in den Südstaaten der USA, oder in den Straßen des alten New Orleans, wo sie, mit einer Gitarre leise vor sich hinsingt, oder ihre Texte auf einem Schreibblock festhält.

Jolie Holland ist eine faszinierende Sängerin mit einem frischen Timbre aus Folk und Blues, sie erinnert an Billie Holiday und Madeleine Peyroux, aber auch an Bob Dylan, Woody Guthrie und Will Oldman. Mit zunehmender Entwicklung - Blüte - gesellt sich jedoch ein Eindruck hinzu, den man auf ihren früheren Alben nur erahnen konnte: eine innere Stärke und eine Souveränität im Umgang mit dem eigenen Sound, die Kompromisse ausschließt.

So erlebt man Jolie Holland auf ihrer neuen CD mal voller Trauer ("Please don't"), mal mit spielerischer Leichtigkeit, und immer findet ihre Stimme einen berührenden, tief unter die Haut gehenden Ton, der die Geschichte des Liedes schon preis gibt, bevor man den Inhalt der Texte erfassen konnte.

Im Reich der Natur gehört Jolie Holland sicherlich zu den Pflanzen, deren Blütezeit außergewöhnlich früh beginnt. Andere Interpreten warten ihr Leben lang vergebens auf einen derart ausgereiften, charismatischen Ausdruck. So wird sie zu einer herausragenden Erscheinung dieses Frühlings, und zu einer seiner schönsten Blüten. Doch als wollte sie dem Überschwang der Jahreszeit etwas entgegensetzen - schließlich ist sie als Bluessängerin der Melancholie verpflichtet - heißt ihr Album "Springtime can kill you".

 

© Michael Frost, 14.05.2006

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