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Später Frieden mit dem Yuppie-Sound


Marc Collin kommt von den 80er Jahren nicht los. Der Franzose scheint fixiert auf das Jahrzehnt, in dem vermutlich seine musikalische Sozialisation stattfand. Gemeinsam mit seinem Partner Olivier Libaux formte er 2004 das Projekt "Nouvelle Vague", das einige der größten "New Wave"-Hits der 80er, u.a. von Depeche Mode und The Cure, mittels brasilianischer Bossanova in die Jetzt-Zeit katapultierte. Ein originelles, aber auch musikalisch gelungenes Experiment, dem 2006 ein zweiter Teil nach dem gleichen Muster folgte: "Bande à parte".

Doch die 80er Jahre hatten jenseits von Postpunk und Synthiepop noch eine andere, ungleich hässlichere Seite, der sich die Fans des New Waves damals (und bis heute) aus prinzipieller Ablehnung verschlossen. Marc Collin vertritt die These, dass diese Gegenbewegung vor allem in der Filmmusik ihren Niederschlag fand. Denn die beginnende Ära der Yuppies, der Siegeszug reaktionärer Politiker von Ronald Reagan über Margaret Thatcher bis Helmut Kohl fand auch im Film seine Entsprechung.

"La boum", "Footloose", "Flashdance", natürlich die "Rocky"-Filme, waren Kassenschlager, deren Erfolg nach dem Vorbild der James Bond-Reihe durch einprägsame, auf Hit getrimmte Titelsongs, meist von Stars dieser Jahre oder solchen, die es dadurch werden sollten, interpretiert, und gehört wurden sie vorzugsweise von Junge-Union-Mitgliedern in abricot-farbenen Lacoste-Polohemden und weißen Segelschuhen und ihren Freundinnen, die Blusen mit Stehkragen trugen und nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Sparkasse begannen.

Die Filmsongs dieser Ära bilden den Grundstock des neuen Projekts von Marc Collin. "Hollywood, mon amour" ist der ambitionierte Versuch, die meist hoffnungslos überzuckerten Pop-Etüden aus 80er-Jahre-Blockbustern "neu zu erfinden", wie Collin das Wagnis nennt. Er selbst, so bekennt er freimütig, sei damals kein Fan dieser Songs gewesen, und dennoch - oder gerade deshalb - gelingt ihm gemeinsam mit einer exquisiten Gästeschar Erstaunliches.

"Flashdance (What a feeling)", der unerträgliche Titelsong der gleichnamigen Musical-Schmonzette, verwandelt sich unter Collins zielstrebiger Regie und dem feinsinnigen Timbre der wunderbaren Yael Naim zu einer einfühlsamen, berührenden Ballade. "Wenn du einen Song wie 'Flashdance' nimmst und ihn auf die Grundakkorde reduzierst, dann stößt du auf eine klassische Harmonie. Du kannst das Gefühl dann ganz anders rüberbringen - vielleicht hat dieses Mädchen ihre Tanzprüfung überhaupt nicht gewonnen, vielleicht ist sie durchgefallen. Man bekommt einen ganz anderen Eindruck."

"Flashdance" ist wohl das extremste Beispiel für Collins Song-Dekonstruktion, die dazu führt, dass man mit fürchterlichen Songs wie "Eye of the tiger" oder den auf Hochglanz polierten James-Bond-Titelsongs "A view to a kill" der Popper-Band Duran Duran und "For your eyes only" (Sheena Easton) plötzlich seinen späten Frieden macht, mehr noch: Was Collin und die brasilianische Sängerin Cibelle aus "Footloose" machen, nämlich einen furiosen Dancefloor-Knaller mit Andrew Sister-Gesangsharmonien und Rock'n'Roll-Unterlage, das ist ganz großes (Musik-)Theater.

Angesichts dieser vielen überraschenden Neu- und Wiederentdeckungen geraten die Adaptionen der wenigen Filmsongs, die man auch damals schon guten Gewissens hören konnte, fast ein wenig in den Hintergrund. "When doves cry", ein früher Prince-Hit aus "Purple rain", gehört ebenso in diese Kategorie wie "This is not America" - David Bowie ist ohnehin sakrosankt, egal, in welchem Jahrzehnt.

Die Collin-Neufassung wird auf "Hollywood, mon amour" übrigens von Juliette Lewis gesungen, neben Skye Edwards, der früheren Sängerin der Trippop-Band Morcheeba, ein weiterer prominenter Gast dieser Produktion. Außerdem an Bord: Nouvelle Vague-Sängerin Nadea, die Dänin Katrine Ottosen, Songwriterin Nancy Danino, Dea Li, Leelou und Bianca Calandra. Sie alle sorgen dafür, dass Collins Fixierung auf die 80er Jahre auch mit diesem neuen Album wieder einen Sinn ergibt - und unendliches Vergnügen bereitet.

© Michael Frost, 13. September 2008

 

 


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