Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Ins emotionale Zentrum


Ein Blick über den Tellerrand: Zum 100. Geburtstag von Dmitri Shostakovich (1906 - 1975) hat der junge britische Violinist Daniel Hope die beiden Violinkonzerte des russischen Komponisten aufgenommen.

Sein aufregend gelungenes Album zeigt, dass Shostakovich im Mozart-Jahr keineswegs vergessen werden sollte. Der 32-jährige Geiger gehört längst zu den Stars des Musikbetriebs, er ist aber vor allem ein kreativer, schöpferischer Grenz-Überschreiter: Seine Wort-Musik-Konzept-Alben (mit Klaus-Maria Brandauer), seine Zusammenarbeit mit Jazz-Musikern (Bobby McFerrin), sein "East meets West"-Projekt (mit Ravi Shankar), seine Aufnahmen mit vergessener jüdischen Musik aus Theresienstadt (Forbidden music) sowie seine Vorliebe für die Musik des 20. Jahrhunderts und die Förderung zeitgenössischer Komponisten machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung.

Mehrfach preisgekrönt und hochgelobt, gehört er seit 2002 dem legendären Beaux Art Trio an. Auch wer Shostakovich noch niemals gehört hat, wird von den jetzt vorliegenden Aufnahmen fasziniert sein: Mit seinem vollen, runden und expressiven Ton, mit seiner gebündelten und gebändigten Energie führt Daniel Hope direkt ins emotionale Zentrum dieser äußerst farbigen, lyrischen und in großen Strecken dunklen Musik.

Der Neutöner war 1936 in Ungnade gefallen, ihm wurden Dekadenz und Formalismus vorgeworfen, er antwortete zunächst mit vaterländisch-orchestralem Pathos (auch in Verteidigung der Sowjetunion gegen den Überfall des faschistischen Deutschland), 1948 wurde er erneut kritisiert, so dass sein damals vollendetes 1. Violinkonzert (a-moll) erst sieben Jahre später - und nach Stalin Tod 1953 - uraufgeführt werden konnte.

Es war ebenso wie das 1967 beendete 2. Violinkonzert (cis-Moll) dem Geiger David Oistrach gewidmet. Inhalt und Form beider Konzerte weichen stark voneinander ab, was im informativen Booklet genauer aufgeschlüsselt wird. Der Komponist hatte 1966 einen Herzinfarkt erlitten und der Gedanke an den Tod war allgegenwärtig.

Ebenso transparent wie geheimnisvoll wird der Adagio-Satz dieses Konzerts gegeben, das vorzügliche BBC Symphony Orchestra wird vom Sohn des Komponisten, dem 67-jährigen Maxim Shostakovich, geleitet. Die Souveränität und abgeklärte Weisheit dieses Dirigenten passen zu der Ausdruckskraft des Solisten, die auf eine bestimmte Weise an die Kunst des Cellisten Pablo Casals erinnert.

Daniel Hope spielt ebenso irdisch, so unrein - im besten Sinne -, er verweigert das pure Schönspiel, die leere Virtuosität, er legt die Sprengkraft der Musik frei, indem er sich ganz in sie hineinbegibt und sie so präsentiert, als würde sie aus dem Moment heraus entstehen. Die Solokadenzen in den beiden Konzerten werden so zu mitreissenden Höhepunkten seines Spiels, das dennoch niemals in irgendeine Art von Selbstfeier abhebt, sondern in aller Demut dem musikalischen Material dieses Komponisten, dem Glanz dieser aus spätromantischen Wurzeln kommenden Musik verbunden bleibt.

Daniel Hopes Shostakovich-Album ist eine großartige Hommage und zugleich eine unbedingte Empfehlung für Einsteiger in jüngere Musik.

© Hans Happel, 06.05.2006

 


[Archiv] [Up]