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Bersten vor Energie
von Hans Happel

Beckenschläge und ein rasantes Trommelintro – Drummer Billy Hart bereitet dem Violinisten Gregor Huebner das Feld, der lässt ein kurzes Motiv aufleuchten und gibt die musikalische Stafette sofort an den Pianisten Luis Perdomo weiter, dessen elegant perlende Läufe vom kräftig drängelnden Bassisten Hans Glawischnig noch forciert werden.

So bringen sie sich ins Spiel: Ein Quartett stellt sich vor - mit musikalischem Witz, Einfallsreichtum und höchstem Können entfalten die vier Jungs die Kunst der Balance zwischen Avantgarde und Tradition, zwischen pastos aufgetragenem lyrischen Schmelz und kräftigem Groove, zwischen solistischen Seiltänzen und Ensemble-Spiel.

Der Jazzgeiger Gregor Huebner ist kein Neuling mehr. Er ist seit einem Jahrzehnt fester Duopartner des New Yorker Pianisten Richie Beirach, mit dessen „Snow Leopard“ dieses außerordentlich erfrischende Album eröffnet wird. Beirach hatte den jungen Musiker auf der Suche nach einem Violinisten in New York entdeckt.

Die 10-jährige Zusammenarbeit feierten sie im Frühjahr dieses Jahres mit dem stilvollen Album „Duality – The first ten years“, fast zeitgleich erschien „FigureJazz“, ein Crossover-Projekt mit dem Württembergischen Kammerchor, in dem Huebner sich als ernst zu nehmender Komponist zeitgenössischer Kirchenmusik erweist.

Zum Jahresende also das „New York NRG Quartet“. Wenn Richie Beirach in seinen Liner Notes die „passion and energy“ dieses Ensembles preist, dann hat er keineswegs übertrieben, denn diese acht Stücke – jeweils 7 bis 10 Minuten lang – bersten förmlich vor Energie.

Es gelingt es den Musikern, das eigene Feuer in eine extrem elegante Form zu gießen. Der 40-jährige Huebner ist ein Virtuose auf seinem Instrument. Er entwickelt einen geradezu rauen, herausfordernd ehrlichen Ton, der nie zu hart wird, der nie ins Gekünstelte abdriftet.

Höhepunkt des Albums ist das Mittelstück „Lullaby Or Not“, in der der Violinist als Mitglied des Sirius String Quartett die Grenzen zwischen Jazz und klassischer Moderne zwanglos auflöst. Das Wiegenlied, das die Streicher vorstellen, wird in der Folge zerlegt, aber nicht zerstört. Hohe Spannung zeichnet diese Musik aus, sie ist eingängig und komplex zugleich, sie ist theatralisch und schlägt – in den Solopassagen des Violinisten – Funken der Sehnsucht. Das alles ohne eine Spur falscher Sentimentalität.

Huebner ist auch im Latin Jazz beheimat und die ausgeprägte Leidenschaft für den Tango gibt seiner Musik sowohl Leichtigkeit wie Tiefe. „Blue in green“ kommt so altmeisterlich-wehklagend daher wie einer der großen Standards des American Songbook. Der letzte Titel „Barbara Song“ klingt nach Brecht-Weill, als hätte sich das Quartett mal eben in der Dreigroschen-Oper verlaufen. Hier zeigen sie wie in allen eigenen Kompositionen, dass sie auf dem Boden der reichen Musikgeschichte des Jazz musizieren, und dabei nichts Museales, nichts Steriles machen, sondern Musik von und für die Gegenwart. Für mich ein Album des Jahres.

© Hans Happel, 22. Dezember 2007


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