Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Harmonische Abenteuer


Als Susi Hyldgaard, die gemeinhin als eine der hoffnungsvollsten Entdeckungen des Vocal Jazz gilt, vor zwei Jahren ein Album mit Jazz-Standards und Klassikern vergangener Jahrzehnte herausbrachte, nachdem sie zuvor mit dem Electronica-Soundtüftler Matthew Herbert zusammen gearbeitete hatte, rieb man sich erstaunt die Augen: Was hatte Susi Hyldgaard vor?

Die hoch gelobten Adaptionen ließen nämlich vor allem ihr Talent als Komponistin ihrer eigenen Songs, wie sie noch auf "Blush" zu hören waren, in den Hintergrund treten.

Gut also, dass die Dänin sich für ihr neues Album "It's love we need" auf alte Stärken besann: Sämtliche der zehn Titel schrieb und textete sie selber. Melodiöse und kraftvolle Balladen sind darunter (etwa der Titelsong "It's love we need"), melancholische Stücke wie "Simple living", in denen die Sängerin die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme eindringlich unter Beweis stellt, flirrend dissonante Stücke mit Latinjazz-Einschlag ("Please forgive me") oder leinwandbreite Songs wie "Borderline Happiness" mit dem satten Philadelphia-Sound der Big Band des Norddeutschen Rundfunks.

Es ist nicht das erste Mal, dass Susi Hyldgaard ein ganzes Orchester verpflichtete. Schon bei den Aufnahmen zu "Magic words to steal your heart away" hatte sie sich von der Big Band des Dänischen Rundfunks begleiten lassen, damals allerdings nur ergänzend zu ihrem eigenen Ensemble, auf das sie nun ganz verzichtet. Auf ihre eigene Herangehensweise habe die Idee, das komplette Album mit einer Big Band aufzunehmen, keinen Einfluss gehabt, sagt Susi Hyldgaard. Sie habe die neuen Stücke in die Hände von Bill Ware und Roy Nathanson gelegt, die sich daraufhin um die Big Band-Arrangements kümmerten, und das Ergebnis habe sie fasziniert: "Ich bekam die Lieder zurück mit neuen, fremden Identitäten ... harmonische Abenteuer, von denen ich nur träumen konnte."

Das Album lässt die Prämisse der beiden Arrangeure deutlich hörbar werden: Immer wieder wird der Band-Sound auf Soli und einzelne Instrumentengruppen reduziert, variiert und neu zusammen gesetzt, bis ein virtuoses Wechselspiel einzelner Musiker entsteht, in dessen Mittelpunkt Susi Hyldgaard stets Dreh- und Angelpunkt bleibt. So wird jeder Eindruck eines womöglich überladenden Sounds von vornherein vermieden.

Die Arrangements lassen genügend Raum für angedeutete Improvisationen, sie überschreiten die Grenze zwischen Jazz und Pop nur im Ausnahmefall, so dass "It's love we need" bei aller Eingängigkeit niemals in wirklich seichte Gewässer entgleitet. Gerade der Titelsong darf in dieser Hinsicht als grandios gelungenes Beispiel dieser Zusammenarbeit gelten: Der Big Band-Sound zeigt sich hier besonders wandlungsfähig, formiert sich immer wieder neu, treibt sich in einem energiegeladenen Wechselspiel aus Solisten und Band immer wieder an: ein Leckerbissen.

Big Band-Leiter Dieter Glawischnig und Roy Nathason, der auch als Co-Dirigent fungierte, formen die Big Band, die sowohl als Ganzes als auch bezogen auf ihre Solisten glänzend aufgelegt ist, so zu einem raffiniert inszenierten Klangkörper, der mit Susi Hyldgaards facettenreichen Gesang perfekt harmoniert, ohne ihn zu übertönen. In diesem Zusammenhang ist auch die textliche Qualität der Songs hervorzuheben: Äußerst originell gerät ihr beispielsweise "Borderline happiness", in dem sie lediglich typische Eltern-Kind-Gesprächsfloskeln aneinanderreiht ("So how was school ..."), die Interesse vorheucheln, letztlich aber nur das erschreckende Ausmaß emotionaler Verarmung in vielen Familien entlarven: "Sit down and eat".

Manchmal müsse man eben seine Grenzen austesten, sagte Susi Hylgaard, um das besondere Wagnis ihres Soundkonzepts zu erklären. Sie selbst empfindet ihre Songs als "skandinavisch düster und dramatisch", da schien es ihr als besonders reizvoll, sie durch den frischen und temperamentvollen Sound einer ganzen Big Band zu kontrastieren.

Das Ergebnis zeigt, dass Susi Hyldgaard ihrer Grenze zwar womöglich näher gekommen ist - sie jedoch noch längst nicht erreicht hat. Man darf folglich gespannt sein, mit welcher Idee die Dänin sich mit ihrer nächsten Produktion neu erfinden wird.

© Michael Frost, 30.03.2009

 


[Archiv] [Up]