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Deutliche Worte
fürs Stammbuch

 

Das kantige Gesicht bildet einen scharfen Kontrast zu den weichen Linien, die das Album zeichnet. Ich habe lange nicht gewusst, wie ich es dir sagen soll: Ich liebe dich. So beginnt "Lettre à Marianne" mit dem zarten Chanson "Je sais", umspielt von einer Cool-Jazz-Trompete und einem Bandoneon. Ein reduzierter, melancholischer Einstieg in ein ungewöhnliches Album eines ungewöhnlichen Künstlers.

Kad Achouri machte zuletzt vor fünf Jahren mit seinem Album "Societé" auf sich aufmerksam. Damals etablierte er sich als Multikulti-Spezialist in der Linie von Manu Chao, Amparo Sanchez und Wagner Pa - doch der nun erschienene Nachfolger sucht seine Stile nahezu ausschließlich in Frankreich selbst.

Nicht allein im traditionellen Chanson, sondern in den Stilen und Rhythmen des multikulturellen Frankreich, und dort stößt er auf Reggae, Raï, Tango, Gypsy Swing und Flamenco, die er alle unter dem einen Motto vereint: "Nous sommes tous des indigènes de la Republique". Diese Refrainzeile im Titelstück "Lettre à Marianne" (Marianne ist das Synonym für Frankreich) wird von ihm zur Hymne aufgebaut, eine Textzeile, die man in Frankreich vermutlich häufiger hören dürfte, hat sich doch unlängst eine Bewegung von Franzosen "mit Migrationshintergrund" (wie man es in Deutschland wohl nennen würde) gegründet, die sich inzwischen sogar als politische Partei formiert: P.I.R. - "Parti des Indigènes de la Republique".

Kad Achoui, der als Sohn einer spanischen Mutter und eines algerischen Vaters in Südwestfrankreich geboren wurde und damit auch ein 'indigener' Franzose ist, inzwischen aber in London lebt, schreibt seinem Heimatland deutliche Worte ins Stammbuch, die angesichts der jüngsten Bilder von der Räumung 'illegaler' Roma-Siedlungen in Frankreich besonders unter die Haut gehen.

Und ganz nebenbei beweist er, dass Pop keineswegs flach oder banal sein muss. Das gilt übrigens nicht nur für seine Themen, sondern immer wieder auch für die Musik selbst und ihre Arrangements. Sämtliche Lieder wurden live eingespielt, auf digitale Elemente wurde dabei gezielt verzichtet. So entstand eine lässig klingende, jedoch hoch konzentrierte Jazz-Atmosphäre wie bei einem Clubkonzert, bei dem man die enge Kommunikation zwischen den Musikern und das Wechselspiel zwischen ihren Instrumenten und dem Gesang mit Händen greifen kann.

 

© Michael Frost, 15.08.2010


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