Sorry, 
                    wir kommen fast zu spät: Denn die Gruppe "Kante" 
                    ist gerade dabei, im Turbotempo in die Feuilletons zu rutschen 
                    und die gespaltenen Kritiker zu wahren Herzens-Ergüssen 
                    zu treiben: Im "Rolling Stone" (8/2004) wird das 
                    jetzt erschienene dritte Album der Hamburger Band als "Meilenstein 
                    der deutschen Rockmusik" gefeiert (und ein Kunsttheoretiker 
                    des 18. Jahrhunderts mit Worten zum Begriff des "Erhabenen" 
                    als Kronzeuge herangezogen), in der Wochenendausgabe der Berliner 
                    taz (14./15. August) beklagt der Rezensent, dass die Texte 
                    des Kante-Sängers Peter Thiessen dem Pathos von an der 
                    Welt leidenden 15-jährigen entsprächen, "Jargon 
                    der Eigentlichkeit" nennt er das geradezu erbost, mit 
                    einem Wort: "Mystizismus". Seine Begründung: 
                    "Der soziale Rahmen, in dem Lebensentwürfe geplant 
                    und verunstaltet werden, kommt nicht zur Sprache". Und 
                    noch heftiger: "Kante überhöhen so, und sei´s 
                    ohne bösen Willen, ihr privates Unglück zur anthropologischen 
                    Konstante." 
                  Mag 
                    sein, hier vermisst jemand - wie in den frühen 70-er 
                    Jahren, als es noch an allen Unis K-Gruppen gab - die "trennscharfe" 
                    Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse. 
                  Über 
                    oberlehrerhafte Statements zur richtigen Einordnung ihrer 
                    möglichen Leiden wären die 15-jährigen Hörer 
                    von Kante vermutlich sehr erfreut. Stattdessen müssen 
                    sie (und wir älteren) sich mit Zeilen wie diesen zufrieden 
                    geben: "Wir sind von vornherein verdächtig/wir sind 
                    nicht ganz bei Trost/es ist, als trügen wir ein Licht 
                    in uns/das einer anderen Welt entsprungen ist." 
                  Der 
                    Titelsong "Zombi" - den die Gruppe schon vorher 
                    als Single veröffentlicht hat - spricht von einem Lebensgefühl, 
                    das Sänger und Texter Peter Thiessen in der Tat für 
                    eine ganze Generation ("wir") reklamiert. Ja, hier 
                    sucht einer nach Bildern, in der Sehnsucht nach Halt und das 
                    Gefühl der Haltlosigkeit zum Thema gemacht werden. Ist 
                    das unpolitisch? 
                  Es 
                    ist das Thema, mit dem schon Rio Reiser Anfang der 80-er Jahre 
                    "Ton Steine Scherben" aus dem engen zeitbezogenen 
                    Polit-Korsett befreit hatte. Im Schwarzen Album (1981) stehen 
                    die Uhren still und schmerzhaft selbstkritische Selbstbespiegelung 
                    (nicht zu verwechseln mit selbstgefälliger Befindlichkeits-Lyrik) 
                    lösen die schlichten Polit-Parolen ab, die ihren Sinn 
                    und ihre Notwendigkeit gehabt hatten, aber heute ziemlich 
                    verstaubt wirken. "Zombi" klingt musikalisch und 
                    textlich wie ein Aufbruch. Der Song hat etwas unterschwellig 
                    Kämpferisches, Drängendes, Zorniges an sich und 
                    die Außenseiter, die sich da als "wir" erfahren, 
                    sehen sich selber "auf der Schwelle einer neuen Zeit". 
                    
                  Das 
                    formuliert Peter Thiessen mit aller Vorsicht. Das Pathos in 
                    seinen Texten ist leise, die Fremdheitsgefühle und die 
                    Sehnsucht nach fremden Körpern wirken wie "ein schwaches 
                    Gift". Aber sie wirken gerade deshalb so stark, weil 
                    sie als Zustandsbeschreibung eines beunruhigenden, tiefgehenden 
                    und wahrscheinlich weit verbreiteten Lebensgefühls präzise 
                    sind. Wenn Lieder in der Lage sind, in die Tiefe zu gehen, 
                    eine Tiefe, die innere und äußere Erfahrungen verbindet, 
                    dann ist den fünf Hamburgern etwas Großes gelungen. 
                    Es sind lauter Nacht-Stücke, in denen Peter Thiessen 
                    ohne jede Selbstgefälligkeit mit einer angenehm beiläufigen 
                    Stimme die klassischen Fragen stellt: Wer bin ich? Wo komme 
                    ich her? Wo will ich hin? 
                  Es 
                    geht um das Gefühl, der Boden unter den Füssen sei 
                    einem weggerissen und gleichzeitig darum, dass hinter der 
                    Nacht etwas Neues anbricht. "Ich will die Nacht an allen 
                    Tagen" heißt es einmal. Diese Kante-Jungs klingen 
                    nicht wie rückwärtsgerichtete Romantiker, sie sind 
                    Romantiker nach Vorn, sie sind Seismographen, die in der Gegenwart 
                    ein Beben spüren, eine "Stille im Zentrum des Wirbelsturms". 
                    
                  Sie 
                    deuten auf etwas hin, das noch keine genauen Konturen angenommen 
                    hat. Ihre Musik ist ebenso opulent wie flüssig, sie verbindet 
                    einfache Pop-Elemente mit Reggae- und Free-Jazz-Einschlag, 
                    sie verbindet - wie sie im Presseinfo augenzwinkernd sagen 
                    - "dunkel-eleganten Pop mit Krachpart in Überlänge". 
                    Überlänge haben fast alle 10 Nummern des Albums, 
                    die in ihren dichten Arrangements niemals versanden und in 
                    dem zirkusnummernartigen Instrumental "Baron Samedi" 
                    einen Höhepunkt erreichen, den man heißen kubanischen 
                    Greisen zugeträut hätte, aber nicht kühlen 
                    Hamburger Jungs. 
                  Andreas 
                    Krane (Bass), Felix Müller (E-Gitarre), Thomas Leboeg 
                    (Klavier, Synthesizer), Peter Thiessen und Sebastian Vogel 
                    haben an dem neuen "Kante"-Album ein Jahr lang hart 
                    gearbeitet, ihr Produzent Tobias Levin war an den Arrangements 
                    maßgeblich beteiligt, das Ergebnis ist außergewöhnlich: 
                    In dieser Musik passiert etwas, etwas Außermusikalisches, 
                    sie transportiert etwas, das eine neue Generation jenseits 
                    der Love-Parade-Umzüge annonciert: "Wir sind die 
                    wunde Stelle einer neuen Zeit", singen Kante. Und das 
                    klingt - echt! - glaubwürdig. 
                  "Kante: 
                    Zombi"
                    ist ein Beitrag von Hans Happel für CD-KRITIK.DE
                    © Hans Happel, August 2004