Als 
                    "hochdynamisches Powerquartett" kündigte die 
                    Jazz-Redaktion des Deutschlandfunk kürzlich die Gruppe 
                    um den amerikanischen Pianisten Eric Watson und den deutschen 
                    Saxophonisten Christof Lauer an. Wer die Konzert-Aufnahmen 
                    gehört hat, findet auf dem zugrundeliegenden Studio-Album 
                    "Road Movies" zwar nicht jene meisterhaft ausgedehnten 
                    Live-Versionen wieder, aber die von Watson komponierten 7 
                    Stücke (aufgenommen innerhalb von zwei Tagen im Juli 
                    und August 2003 in Paris) haben soviel Drängendes, Vorwärtstreibendes, 
                    und sie sind von einer derart erregenden Vitalität, dass 
                    das Wort vom "Powerspiel" fast als Understatement 
                    durchgehen kann. 
                  Eric 
                    Watson, seit 25 Jahren Wahlpariser, ist ein Grenzgänger 
                    zwischen geschriebener und improvisierter Musik. Seine Interpretationen 
                    der Klavierwerke des amerikanischen Avantgarde-Komponisten 
                    Charles Ives (1874 - 1954) gelten als wegweisend. Als leidenschaftlicher 
                    Verehrer des modern dancing hat Watson für führende 
                    französische und niederländische Tanz-Ensembles 
                    Ballett-Musiken geschrieben. 
                  Sein 
                    Hang zum Theatralischen spielt hörbar in den "Road 
                    Movies" eine Rolle. Watson schlägt Brücken 
                    zwischen abstrakten Bepop-Patterns und romantischem Tastendonner, 
                    er hat ein Faible für klangvolle Finale, die er meist 
                    punktgenau abrupt enden läßt. "Road Movies", 
                    das 12 Minuten lange Eingangs- und Titelstück des Albums, 
                    gibt den Weg vor: Keine zarte Melancholie, keine Innigkeit, 
                    sondern eine herausfordernde, herbe, kantige Direktheit, die 
                    mit "Power", ja mit Wucht präsentiert wird. 
                    
                  Christof 
                    Lauer ist ein ebenbürtiger Partner für Eric Watson. 
                    Der 51-jährige gehört zu den renommiertesten Saxofonisten 
                    seiner Generation, und hier lässt er sich lustvoll antreiben 
                    von dem Drive, den der Pianist mit seinem Material und seinem 
                    druckvollen Spiel vorgibt. Er schwingt sich auf zu dem "vokalnahen, 
                    hymnischen Ton" seines Vorbilds John Coltrane, er lässt 
                    sein Instrument wimmern, klagen und schreien, um im nächsten 
                    Augenblick wieder in die Coolness der sprunghaft-schnellen 
                    Bebop-Themen zurückzukehren. 
                  Die 
                    zwei Musiker werden bei ihrem intensiven Dialog von einem 
                    französischen Rhythmusgespann begleitet, das ebenfalls 
                    eine geballte Ladung Kraft verströmt. Claude Tchamitchian 
                    sorgt nicht nur für einen rasend laufenden walking bass, 
                    sondern zeigt in den gestrichenen Soli, wie er sein Instrument 
                    zum Singen bringt und die Grenzen zur Avantgarde-Musik überschreitet. 
                    Der Drummer Christophe Marguet unterlegt das Spiel mit treibenden 
                    Rhythmen, und seine knappen, extrem schnellen Intermezzi antworten 
                    in ihrer trockenen Heftigkeit auf Watsons Direktheit am Piano. 
                    
                  Dieses 
                    Quartett ist nicht immer frei von theatralischer Überzeichnung, 
                    von zuviel Wucht, aber es lässt sich treiben von einer 
                    Mischung aus Spielfreude und streng durchgearbeiteter Konstruktion, 
                    die den Komponisten moderner Kammermusik am Werk zeigen. Ein 
                    Komponist, der dort ansetzt, wo der Jazz zur Kunstmusik geworden 
                    ist, beim Bebop, und der weitergeht auf einer Straße, 
                    die zum Free Jazz führt, die Ausflüge in die Klassik 
                    ebenso möglich macht wie Exkursionen zu ostinater Filmmusik. 
                    
                  Aber 
                    vor allem gibt Eric Watson dem Musiker Christof Lauer Raum, 
                    auf dem Tenor- und Sopransaxophon in großen Bögen 
                    eine herbe Poesie zu entfalten, die weit weg von jeder Geziertheit 
                    ist, die etwas zupackend Irdisches, etwas intensiv Bohrendes 
                    hat, das nicht beruhigen will, sondern zum Aufbruch bläst, 
                    eben dazu, "on the road" zu sein. 
                  On 
                    the road: Ein Anspruch an eine neue - alte - Sprache des Jazz, 
                    die mehr sein will als der Hintergrund-Sound in der Lounge, 
                    wo zerstreute Hörer ihre Drinks schwenken. Die akustischen 
                    Filmbilder dieser "Road Movies" zwingen zum Zuhören, 
                    sie verlangen volle Aufmerksamkeit. Wer sich darauf einlässt, 
                    dem geben sie das gute Gefühl, zugleich gefesselt und 
                    entfesselt zu werden.
                  Eric 
                    Watson & Cristof Lauer: Road Movies
                    (ACT 9429-2)
                    
                  © 
                    Hans Happel, 18. Dezember 2004